David Schwimmer, London Stock Exchange Group

„Fähigkeit zur Datenanalyse wird immer wertvoller“

Das Datengeschäft zählt zu den Top-Prioritäten von David Schwimmer. Der CEO der London Stock Exchange sieht aber auch in anderen Bereichen wie dem Indexgeschäft gute Wachstumschancen.

„Fähigkeit zur Datenanalyse wird immer wertvoller“

Andreas Hippin.

Herr Schwimmer, was hat es mit dem Anfang des Monats verkündeten Deal mit Microsoft auf sich?

Wir sind begeistert. Wir haben über ein Jahr damit verbracht, das auszuarbeiten. Einer der Gründe, warum es so lange gedauert hat, ist, dass wir beim Produktdesign und den Aktionsplänen für Produkte sehr eng zusammengearbeitet haben. Ich gehe davon aus, dass unsere Kunden in 18 bis 24 Monaten beginnen, die Vorteile zu sehen. Einerseits könnte man sagen, das ist noch eine Weile hin, andererseits ist es keine lange Zeit, wenn man bedenkt, was wir aufbauen werden. Es ist eine gute Gelegenheit für Microsoft, eine gute Gelegenheit für uns und, was am wichtigsten ist: Es ist eine große Chance für unsere Kunden.

Wie viele Daten brauchen die Kunden noch? Sie haben doch schon eine ganze Menge.

Ich würde nicht sagen, dass es um die Menge an Daten geht. Wenn wir mit unseren Kunden sprechen – Banken, Assetmanagern, Handelshäusern –, ist derzeit für viele das größte Problem, ihre Daten effizient zu managen und zu nutzen. Es sind so große Mengen an Daten aus vielen verschiedenen Quellen verfügbar, dass die größte Herausforderung wird, echte Einsichten aus den Daten zu gewinnen, mit Hilfe der Daten Wert zu schaffen und sie gut zu verwalten. Darin liegt die Chance, die sich aus der massenhaften Verfügbarkeit von Daten ergibt.

Steckt der Wert dann eher in der Software für Analytik und Diagnostik oder in den Daten?

Viele Schritte entlang der Datenwertschöpfungskette bieten die Möglichkeit, Wert zu schaffen. Das ist eine der echten Stärken, die wir in unserem Geschäft haben. Wir haben ausgefeilte Datenressourcen, eine Datenfabrik, wenn man das so nennen kann. In vielen Schritten des Prozesses, Wert aus Daten zu schaffen, stecken umfangreiche Kenntnisse und Fähigkeiten.

Wie muss man sich das vorstellen?

Es fängt mit der Erfassung der Daten an, ihrer Bereinigung (Scrubbing) und Verwaltung. Das bedeutet, die Daten zu identifizieren und mit einer Kennung (Tagging) zu versehen, so dass man selbst und andere sie nachverfolgen können und wissen, wie man sie nutzen kann. Dazu gehört auch, die Daten so zu liefern, dass sie vom Kunden effizient konsumiert werden können, und die mit den Daten verbundenen Rechte zu managen. Das in großem Maßstab effizient machen zu können und dabei den Anforderungen der Kunden gerecht zu werden, kann ein komplexes Unterfangen sein. Wir haben Ressourcen für Daten in einer Breite und Tiefe, die weltweit führend ist. Um sicherzustellen, dass unsere Kunden daraus Wert schaffen können, ist wichtig, dass sie die Daten bekommen, die sie benötigen, nicht einfach eine Menge Daten. Damit ist ein Element von Selektivität verbunden. Teil davon ist, dass Kunden die Qualität bekommen, die sie brauchen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Zwei Teile einer Organisation glauben, dass sie Zugriff auf dieselben Daten haben, greifen aber in Wirklichkeit auf zwei etwas unterschiedliche Quellen zurück. Wenn sie denken, es seien dieselben Daten, ist das ein Problem für sie. Man muss also sicherstellen, dass die Datenqualität angemessen ge­managt wird.

Und jetzt zur Frage zur Analytik . . .

Die Fähigkeit zur Datenanalyse, dazu, Wert und Einsichten daraus zu generieren, wird immer wertvoller. Das ist einer der Vorteile, den unsere Kunden aus unserer Partnerschaft mit Microsoft haben werden. Wir werden dadurch einen Analysedienst schaffen, der unsere Ressourcen, Rahmen und Modelle mit den Fähigkeiten von Microsoft in der Cloud, bei Skalierung, maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz (KI) zusammenführt.

Wir kennen die Finanzbranche und die damit verbundene Analytik und Modelle sehr gut. Wenn wir das mit der Cloud, maschinellem Lernen und KI zusammenbringen, ermöglicht uns das, einen Service für unsere Kunden anzubieten, mit dem sie in Microsofts Cloud mit Hilfe unserer Werkzeuge, Daten und Analyserahmen ihre eigene Analytik betreiben können.

Wo liegen da die Vorteile?

Seine eigene Analytik zu betreiben, kann sehr schwierig sein, weil man dafür die richtigen Ressourcen benötigt: die richtigen Leute, den richtigen Zugang zu Daten und Serverkapazitäten. Wenn man etwa ein Fonds ist, der große Datensätze nutzen will, ist das im Alleingang ein ziemlich anspruchsvolles Unternehmen. Wir werden das durch die Partnerschaft mit Microsoft viel einfacher machen.

Ist das auch deshalb wichtig, weil ein großer Teil des Handels bereits automatisiert ist?

Das breitere Thema ist, dass die Branche insgesamt digitaler wird. Wir sehen immer mehr elektronischen Handel in unterschiedlichen Assetklassen. Manche Assetklassen sind in dieser Hinsicht schon sehr weit herangereift. Andere befinden sich noch in einem früheren Stadium. Wir haben bei Tradeweb signifikantes Wachstum verzeichnet, weil immer mehr Fixed-Income-Produkte elektronisch gehandelt werden. Aber Sie haben schon recht: Der elektronische Handel wird durch den Zugang zu Daten getrieben, in manchen Fällen zu sehr großen Datenmengen. Wir müssen diese Daten den Servern der Kunden reibungslos zur Verfügung stellen können, die diese Algorithmen beherbergen und diesen Handel treiben.

Wie sind Sie da vertreten?

Wir sind auf diesem Gebiet bereits sehr stark. Diese Fähigkeiten werden durch unsere Zusammenarbeit mit Microsoft nur besser.

Wenn man sich den Hochfrequenzhandel ansieht, gibt es da noch Neuerungen, nachdem man alles getan hat, um die letzte Nanosekunde schneller zu sein?

Das ist ein wirklich interessantes Thema. Wir haben im Mai eine Firma namens Maystreet übernommen. Bereits davor waren wir weltweit der Anbieter Nummer 1 bei Echtzeitdaten. Was Maystreet uns gebracht hat, sind Spitzenfähigkeiten bei „Ultra Low Latency“-Feeds von Echtzeitdaten. Das hat unsere Fertigkeiten in diesem „Ultra Low“-Segment erweitert, das wächst und weiterhin attraktiv bleibt. Während sich die Branche insgesamt in den vergangenen Jahren in eine Richtung entwickelt hat, in der sich die Geschwindigkeit der Datenverfügbarkeit weiter verbessert, ist für uns wichtig, den Erwartungen unserer Kunden zu entsprechen. Für manche ist „Low Latency“ nicht von kritischer Bedeutung. Andere sind sehr darauf fokussiert. Wir wollen den Kundenbedürfnissen über unsere gesamte Kundenbasis hinweg gerecht werden.

Gab es auf der Kundenseite Innovationen? Am längsten dauert doch die Entscheidung, ob eine Order erteilt wird.

Das hängt ganz von den Kunden ab, vom Design ihrer Handelssysteme und der Funktionsweise ihrer Algorithmen.

Man kann also nicht sagen, dass sich generell etwas geändert hat?

Nein. Was wir beobachten, ist eine anhaltende Nachfrage sowohl nach Echtzeit- als auch nach Nicht-Echtzeitdaten und eine anhaltende Nachfrage nach „Ultra Low Latency“-Daten. Das bedeutet „Ultra Low Latency“-Bepreisung, was uns dazu gebracht hat, Maystreet zu erwerben.

Geht es auch bei anderen Börsen und Marktinfrastrukturbetreibern in diese Richtung, oder ist dieser Weg sehr spezifisch für die LSEG?

Ich kann nicht für andere Marktinfrastrukturfirmen sprechen. Aber für uns ist das der Kern unserer Strategie. Wir betrachten Daten, nicht nur den Content selbst, sondern den Zugang, die Fähigkeit, Daten zu verwalten und zu vertreiben, als ebenso wichtiges Element der Infrastruktur wie eine Börse.

Gibt es Wettbewerber, die versuchen, dasselbe zu tun?

Die Finanzbranche ist ein sehr wettbewerbsintensiver Markt. Wir haben reichlich Konkurrenten in den einzelnen Segmenten, in denen wir tätig sind. Aber ich glaube, es gibt keine andere Firma auf der Welt, die weltweit ein so breites Geschäft über Marktinfrastruktur, Daten und Analytik hinweg sowie über verschiedene Assetklassen und den Lebenszyklus im Handel hinweg betreibt. Damit meine ich Pre-Trade, Trade und Execution sowie Post-Trade. Wegen der Breite unseres Angebots und der Bandbreite unserer Fähigkeiten sehen wir keinen Wettbewerber, der es über unser gesamtes Geschäft hinweg mit uns aufnehmen kann. Und das halten wie für ein sehr attraktives Element, einen strategischen Vorteil für uns, wenn wir mit unseren Kunden umgehen, die über die Wertschöpfungskette hinweg auf der Suche nach mehr Einfachheit sind. Sie wollen eine kleinere Zahl von strategischen Partnern haben. Aus der Perspektive funktioniert unsere Strategie sehr gut.

Wo sehen Sie die Wachstumschancen? Das hört sich alles nach einem weiteren Subskriptionsmodell an, sehr stabil, aber ohne zweistellige Wachstumsraten.

Zu den großartigen Aspekten unseres Geschäfts gehört, dass wir positioniert sind, um von einer Menge starker langfristiger Wachstumstrends profitieren können. Die anhaltend wachsende Nachfrage nach Daten und danach, Wert daraus zu schaffen, kommt unserem Analytikgeschäft sehr zugute. Die anhaltende Verschiebung hin zu passiveren Anlageformen nutzt unserem Indexgeschäft. Die zunehmende Volatilität wirkt sich auf eine Reihe der bei uns gehandelten Assetklassen wie Zinsswaps, Staatsanleihen und Devisen aus. Unser Geschäft mit Risikolösungen für Dritte profitiert vom Fokus der Regulierer auf eine ganze Reihe von Themen. Im vergangenen Jahr standen Sanktionen im Blickpunkt. Daran hat sich gezeigt, wie wichtig unsere „World-Check“-Datenbank für unsere Kunden in der ganzen Welt ist. Der anhaltende Fokus auf Nachhaltigkeit und Sustainable Finance ist ein Wachstumstreiber für unsere Datensätze, ESG-Indexprodukte und andere Produkte. Es gibt also eine ganze Reihe unterschiedlicher Ge­schäftsfelder, wo wir echte Wachstumstreiber sehen.

Könnten Sie sich vorstellen, einen Handelsplatz für Kryptoassets zu betreiben? Die Börse von Gibraltar hat es schon gemacht.

Wir sind sehr vorsichtig gewesen, was Krypto angeht. Wir stellen zwar Preisdaten für Kryptoassets zur Verfügung, die wir für angemessen überprüft halten, und haben ein paar Indizes für digitale Assets eingeführt, waren aber sehr vorsichtig, was jegliche Form des Handels von Kryptoassets angeht. Wir sind aber auch sehr fokussiert darauf, die Vorteile der zugrunde liegenden Technologie zu nutzen. Wir sehen uns für eine Reihe unserer Geschäfte an, wie sie die Digitalisierung unserer Prozesse ermöglichen könnte. Aus unserer Sicht gibt es einen klaren Unterschied zwischen Kryptoassets und deren Handel, insbesondere wenn die Regulierung unklar ist, und der Digitalisierung unserer Handelsprozesse. Kryptoassets sind für uns nicht sehr interessant, die Digitalisierung dagegen schon. In unserer Presseerklärung zur Partnerschaft mit Microsoft heißt es, dass wir bei digitaler Marktinfrastruktur zusammenarbeiten wollen. Auf diesem Gebiet werden wir mehr Arbeit leisten und sondieren, was wir mit Microsoft und potenziell auch mit anderen Partnern tun wollen.

Wie funktioniert zwei Jahre nach der Übernahme von Refinitiv die Integration der Daten in andere Geschäfte?

Die Strategie funktioniert sehr gut. Die Inte­gration verläuft sehr gut. Wir sind noch nicht ganz fertig damit, da ist noch etwas Integrationsarbeit zu leisten. Aber wir machen sehr gute Fortschritte. Wir sind bei den Umsatz­syn­ergien voll im Plan. Bei den Kostensyn­ergien liegen wir über Plan.

Haben Sie ein Beispiel dafür, wie das funktioniert?

Wir haben die Daten von Refinitiv dafür genutzt, in unserem FTSE-Russell-Indexgeschäft mehr Indexprodukte zu bauen. Das hat einen wesentlichen Teil zu den Umsatzsynergien beigetragen. Wir haben auch dadurch schrittweise Wert geschaffen, dass wir die zugrunde liegenden Daten vielen Kunden des Indexgeschäfts als Produkt angeboten haben. Wenn man einen Index als Benchmark verwendet, will man oft auch Zugang zu den zugrunde liegenden Daten, die in die Erstellung des Index einfließen. Das hilft einem dabei, die Bestandteile besser zu verstehen. Das war ein exzellentes Gebiet, um Synergien zu erzielen. Vielleicht sollte ich auch unser Produkt für FRTB (Fundamental Review of the Trading Book) erwähnen. FRTB ist ein regulatorischer Standard. Ganz allgemein gesagt gilt: Je besser die Daten sind, die Banken über einige Positionen in ihrer Bilanz haben, desto weniger Kapital müssen sie vorhalten. Für unser FRTB-Produkt führen wir Daten aus verschiedenen Teilen unseres Geschäfts zusammen – aus Yieldbook, Tradeweb und LCH – und können dadurch ein qualitativ sehr hochwertiges Produkt für Banken und andere anbieten, die den Anforderungen von FRTB entsprechen wollen. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie wir echten Nutzen aus der Zusammenarbeit von unterschiedlichen Teilen des Geschäfts erzielen.

Ich dachte ja zuerst, der Kauf von Refinitiv sei eine Art Giftpille, um eine Übernahme zu verhindern.

Wirklich? Darüber sollten wir sprechen. Als wir Refinitiv gekauft haben, wussten wir, dass es über ein paar großartige Assets verfügt, ein paar großartige Kundenbeziehungen, und wir waren begeistert, dass wir die Gelegenheit hatten, in das Geschäft zu investieren, schrittweises Wachstum voranzutreiben und die Fähigkeiten zu verbessern. Und das ist genau das, was wir gemacht haben. Das ist ein Geschäft, das über eine Reihe von Jahren um 1 % oder 2 % pro Jahr gewachsen ist, als wir es erworben haben. Nun wächst es um rund 5 % pro Jahr. Und es befindet sich seit weniger als zwei Jahren in unserem Besitz. Wir investieren weiter in das Geschäft, in die Funktionalitäten, die Produkte, die operative Robustheit, und wir sehen die Vorteile daraus. Wichtiger noch: Unsere Kunden sehen die Vorteile davon. Wir sind sehr zufrieden damit, wie es abgeschnitten hat. Unsere Strategie hat funktioniert.

Es geht also nicht um stabile Einnahmen, sondern um wachsende wiederkehrende Einnahmen.

Eine unserer internen Kennzahlen, die wir jedes Quartal offenlegen, ist das annualisierte Wachstum des Werts der Subskriptionen. Es ist ein Blick auf das Buch mit den wiederkehrenden Umsätzen zum Ende des Quartals, die dann mit dem Vorjahreswert verglichen werden. Das kann man nachverfolgen und sehen, wie wir die wiederkehrenden Umsätze höher und höher gesteigert haben. Es sind wiederkehrende Umsätze, aber sie sind nicht einfach wiederkehrend und stabil, sondern wiederkehrend und wachsend.

Und der Anteil der wiederkehrenden Umsätze am Gesamterlös wächst. Sind es derzeit nicht fast drei Viertel?

Ja richtig, mehr als 70 %.

Der Kassahandel mit Aktien spielt da­ge­gen keine große Rolle mehr für den Umsatz.

Absolut richtig. Der Aktienhandel an LSE und Turquoise ist ein großartiger Teil unseres Geschäfts. Wir sind mit Abstand die führende Börse in Europa. Das ist ein wichtiger Teil unseres Geschäfts, steuert aber weniger als 5% zum Umsatz insgesamt bei.

Vor gar nicht allzu langer Zeit waren Börsen und Marktinfrastrukturunternehmen sehr damit beschäftigt, grenzüberschreitende Akquisitionen einzufädeln. Warum eigentlich?

Ich war an diesen Versuchen nicht beteiligt, kann also nicht aus eigener Erfahrung sprechen. Das ist passiert, als ich noch nicht hier war – etwa Deutsche Börse und LSEG. Die ökonomische Rationale besteht darin, dass Marktinfrastruktur, Börsen, Clearinghäuser skalierbare Geschäfte sind. Man hat die Technologie für eine Börse, die Matching Engine, und kann bei sehr geringen zusätzlichen Kosten immer mehr Volumen damit abarbeiten. Die wirtschaftliche Logik ist: Wenn man Liquiditätspools konsolidiert, kann man Kosten sparen und eine höhere Marge erwirtschaften.

Doch ist eine Börse ein sehr nationales Geschäft und ein sehr politisches noch dazu.

Natürlich, zu Börsen gibt es sehr starke nationalistische Gefühle und auch sehr starke Gefühle der Aufsichtsbehörden. Es ist in diesem Umfeld, in dem wir eher eine Verschiebung zu mehr Fragmentierung als Globalisierung beobachten, schwer vorstellbar, dass es zu einer Menge erfolgreicher grenzüberschreitender Aktivität unter Börsen kommen wird. Aber für uns steht das strategisch nicht im Fokus. Wir haben in den vergangenen Jahren eine Reihe wesentlicher strategischer Schritte unternommen, darunter vier Zukäufe 2022. Keiner davon fiel in die Kategorie grenzüberschreitende Aktivität.

Sie bekommen also nicht jede Woche vier oder fünf Anrufe von Kaufinteressenten oder Börsen, die von ihnen gekauft werden wollen.

Nein.

Könnte das auch darin liegen, dass sich die Geschäftsmodelle in vielen Fällen in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben?

Das ist eine interessante Frage. Man sieht, dass die unterschiedlichen Player in der Branche unterschiedliche Richtungen einschlagen. Wir haben unsere strategische Ausrichtung ziemlich klar gemacht. Wir wollen unseren Kunden auf weltweiter Basis über Finanzmarktinfrastruktur, Daten, Assetklassen und den Trade-Lebenszyklus hinweg dienen. Ich kann nicht für andere Unternehmen über ihre Strategien sprechen, aber sie gehen offenkundig in andere Richtungen und konzentrieren sich auf andere Gebiete.

Wenn man sich den Markt für Börsengänge ansieht, der 2022 nicht so lebhaft ge­wesen ist: Sind IPOs für Unternehmen noch so wichtig für die Kapitalbeschaffung?

Die Private Markets sind in den vergangenen Jahren ganz klar stark gewachsen. Aber ich glaube, ein wesentlicher Teil davon hängt am Zinsumfeld. Wenn Kredit effektiv kostenlos zu haben ist, können private Kapitalgeber leicht den Schuldenhebel einsetzen, um eine Menge dieser privaten Unternehmen zu finanzieren. Durch ein sich veränderndes Zinsumfeld könnte sich diese relative Attraktivität der Private Markets im Vergleich zu öffentlichen Märkten ein bisschen verlagern. Die Vorteile, Liquidität und Zugang zu öffentlichem Eigenkapital zu haben, könnten für attraktiver gehalten werden. Aber mit Sorgen über eine Rezession, geopolitische Risiken und Krieg befinden wir uns klar in einem Umfeld, in dem Firmen davor zurückschrecken, an die öffentlichen Märkte zu gehen. Aber die Fenster an den öffentlichen Märkten öffnen und schließen sich. Sie werden sich mit Sicherheit wieder öffnen. Und wir haben eine gesunde Pipeline von Unternehmen, die an die Börse gehen wollen. Wir werden sehen, wann der IPO-Markt wieder attraktiver wird.

Hier wurde viel über einen Big Bang 2.0 geredet. Es gab einen Vorschlag für eine Reform der Listing-Regeln. Würde das mehr Wachstumsfirmen an die Londoner Börse bringen?

Ich denke, dass es ein großes Interesse daran gibt, die große Dynamik und die Attraktivität dieses Marktes für Unternehmen, die Kapital aufnehmen und wachsen wollen, zu erhalten. Wir sind an einer Reihe von Initiativen beteiligt, ob es sich dabei um die Capital Markets Industry Task Force handelt, an der Julia Hoggett, die Chefin der Londoner Börse, aktiv beteiligt ist, oder die Überprüfung des Listing-Regimes durch Jonathan Hill im vergangenen Jahr. Es passiert eine Reihe von interessanten und hilfreichen Dingen, die sicherstellen sollen, dass dieser Markt ein führender Ort zur Aufnahme von Kapital bleibt. Wir sehen mit Sicherheit die Vorteile davon, von den Veränderungen bei den Vorgaben zum Streubesitz und dualen Aktienstrukturen bis hin zu einer potenziellen Neuorganisation der Art und Weise, wie die private Altersvorsorge funktioniert. Der Schatzkanzler hat zuletzt ein paar sehr interessante Aussagen ge­macht, etwa zu einem intermittierenden Handelsplatz, der eine wirklich interessante Brücke zwischen der Kapitalaufnahme an den Private Markets und den öffentlichen Märkten sein könnte.

Was bedeutet das für Sie?

Zu den interessanten Dingen an unserem Geschäft gehört, dass wir ein globales Unternehmen sind. Wir machen eine Menge in der EU, wo wir Tausende von Mitarbeitern haben. Wir haben unsere Clearinghäuser, nicht nur in London, sondern auch in Paris. Wir haben unseren Devisenhandelsplatz in Irland, einen Aktienmarkt in Amsterdam. Wir haben um die 110 Mitarbeiter in Deutschland, vor allem im Daten- und Analytikgeschäft. Ihre Fragen sind gut, was die Bedeutung von London als ein Zentrum für die Beschaffung von Kapital angeht. Und aus unserer Perspektive passieren hier in London viele aufregende Dinge, um es zu einem möglichst attraktiven Standort dafür zu machen. Aber wir sind auch begeistert von den Chancen, die wir als globales Unternehmen haben. Das schließt die EU mit ein, Asien, Amerika und die Emerging Markets.

Sie würden also nicht sagen, dass viel mehr Deregulierung nötig ist? Man hört immer von einem Freudenfeuer der Regelwerke, das manche in der City gerne entfachen würden.

Auch ich habe die Phrasen gehört. Ich glaube nicht, dass es einen großen Bedarf für ein Freudenfeuer der Regelwerke gibt. Gibt es Möglichkeiten, Dinge effizienter zu erledigen? Ja. Gibt es Möglichkeiten sicherzustellen, dass die Regulierung so modern und dynamisch ist, wie sie sein muss, wenn sich die Wirtschaft und die Technologie verändert? Ja, dazu gibt es die Möglichkeit. Es ist aber auch wichtig, einen in hohem Maße glaubwürdigen aufsichtsrechtlichen Rahmen und sehr selbstbewusste Regulierer zu haben. Uns kommt das auf einer ganzen Reihe unterschiedlicher Gebiete zugute, sowohl auf diesem Markt als auch in der EU und anderswo.

Wie wichtig ist der Kassamarkt noch für die LSEG?

Das gehört weiter zu unserem Kerngeschäft. Absolut.

Sie wollen das nicht kleineren Rivalen wie Aquis oder Chi-X überlassen?

Nein. Wir sind im Sekundärhandel für Aktien immer noch mit Abstand die führende Quelle für Liquidität und Preisbildung.

Das Interview führte

BZ+
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