Autoindustrie

Die Zukunft ist elektrisch

Von 2035 an sollen in der EU Neuwagen mit Verbrennungsmotor nicht mehr zugelassen werden. Die Autohersteller bereiten sich darauf vor, haben aber noch viel zu tun.

Die Zukunft ist elektrisch

Noch zwölf Jahre: Dann soll in der Europäischen Union Schluss mit Verbrennungsmotoren in Neuwagen sein. Die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament haben beschlossen, dass vom Jahr 2035 an nur noch emissionsfreie Autos in der EU neu zugelassen werden. Die endgültige Einigung wurde im Oktober 2022 getroffen, nachdem sich die Umweltminister im Juni geeinigt hatten. Zu 100% steht das Ganze allerdings noch nicht fest. Denn zum einen soll 2026 die Entscheidung überprüft werden, zum anderen könnte der Einsatz von synthetischen Kraftstoffen, den sogenannten E-Fuels, erlaubt werden und sich somit die Laufzeit des Verbrenners verlängern.

In der europäischen Politik herrscht jedenfalls noch keine Einigkeit im zweiten Punkt. Kritisiert wird eine fehlende Technologieoffenheit. Das bemängelt auch Hildegard Müller­, die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Schließlich geht es aus ihrer Sicht ebenfalls darum, die CO2-Emis­sionen der älteren Autos zu senken, die nach 2034 noch auf den Straßen unterwegs sind. Müller fordert: „Damit diese Fahrzeuge klimaneutral betrieben werden können, brauchen wir synthetische Kraftstoffe.“

Der VDA sieht die Politik in der Pflicht für die Rahmenbedingungen. Dazu zählt Müller vor allem einen raschen Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos und die ausreichende Versorgung mit Rohstoffen, etwa für die Herstellung der Batterien, und mit erneuerbaren Energien, um die Fahrzeuge klimaneutral zu laden und synthetische Kraftstoffe herzustellen. Dafür müsse die EU möglichst schnell „und entschlossen Energiepartnerschaften und Rohstoffabkommen abschließen“.

„Ein wenig spät“

Die oberste deutsche Autolobbyistin ist der Ansicht, dass die Industrie ihre Hausaufgaben gut macht: „Mit den gewaltigen Ausgaben für Forschung und Entwicklung und den Um- beziehungsweise Neubau von Werken beweist die Branche ihre Entschlossenheit, die Transformation zu einer internationalen Erfolgsgeschichte zu machen.“ Jörg Burzer, der Produktionsvorstand von Mercedes-Benz, gab in einem Pressegespräch wenige Tage vor Weihnachten zu, dass es schon sein könne, dass die deutsche Autoindustrie sich ein wenig spät auf den Weg zur Elektromobilität gemacht habe. „Aber wir haben kräftig aufgeholt“, fügte er hinzu. Vergleiche mit Herstellern wie Tesla, die nur Elektroautos anbieten, passen nach seiner Meinung nicht ganz. Denn die traditionellen Produzenten hätten schließlich eine Transformation zu bewältigen.

Auf das anstehende Aus des Verbrenners in der EU reagierten die Autohersteller dennoch ziemlich gelassen. Denn die Unternehmen beschleunigen parallel zu den steigenden Zulassungszahlen die Entwicklung und die Fertigung der Elektromobile. Die Produktpalette wird größer. Im dritten Quartal 2022 hatten die batterieelektrischen Pkw (BEV) in der EU einen Anteil von 11,9% aller Neuzulassungen. Für den Vorjahreszeitraum hatte der europäische Herstellerverband Acea einen Anteil von 9,8% gemeldet. In den ersten neun Monaten 2022 nahm die Zahl der neu zugelassenen BEV um 26% auf rund 717000 zu.

Von Mercedes-Benz kommt Zustimmung für den EU-Beschluss, von 2035 an nur noch Neuwagen mit Elektroantrieb zuzulassen. Allerdings betont der Stuttgarter Konzern, entscheidend, um den Klimawandel aufzuhalten, sei im Verkehr „die Akzeptanz der neuen und nicht das Verbot traditioneller Technologien“. Auch Mercedes-Benz ruft nach Offenheit.

Das Unternehmen richtet sich klar auf die Elektromobilität aus, will sein Produktangebot aber auf die Märkte abstimmen. Überall dort, wo die Bedingungen geeignet sind – vor allem eine ausreichende Ladeinfrastruktur –, sollen vom Jahr 2030 an nur noch vollelektrische Fahrzeuge von Mercedes-Benz verkauft werden, lautet der Plan des Vorstands. Zwischenziel ist eine Quote von 50% vollelektrische Fahrzeuge und Plug-in-Hybride im Jahr 2025.

Im Juni hatte Mercedes-Benz angekündigt, das Produktionsnetzwerk auf ein zu 100% elektrisches Pkw-Portfolio vorzubereiten. Dafür wurde mit der Arbeitnehmerseite eine europäische Produktionsordnung der nächsten Jahre vereinbart. Von 2022 bis 2026 will der Konzern mehr als 2 Mrd. Euro in seine europäischen Fahrzeugwerke investieren. Im Dezember folgte nach längerem Verhandeln mit dem Betriebsrat die Einigung auf die Standorte zur Produktion elektrischer Antriebssysteme. Dazu zählen Batterien, Antriebseinheiten und Achsen. In den Ausbau dieser Werke in Europa und China will der Konzern in den nächsten Jahren einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag in Euro investieren. Mercedes-Benz bereitet sich nach Burzers Worten „nun weltweit auf die schnelle Skalierung der elektrischen Antriebe vor“.

Gleichwohl betont er die Flexibilität der Mitarbeiter und der Werke, um parallel auch Autos mit Verbrennungsmotoren weiter zu fertigen. Dass vom Jahr 2030 an überall auf der Welt nur noch Elektroautos neu zugelassen werden, ist aus heutiger Sicht nicht vorstellbar. Selbst in der EU wird dieses Ziel ja erst fünf Jahre später angestrebt.

Für die Zukunft setzt Mercedes-Benz voll auf die Batterie: „Wir sind davon überzeugt, dass die Batterie bis Mitte des nächsten Jahrzehnts in die Zukunft trägt“, sagt Burzer. Der Brennstollzelle traut er das nicht zu: Antriebe mit Wasserstoff seien allenfalls für den Transport von schweren Lasten geeignet. Daimler Truck entwickelt solche Lösungen in einem Joint Venture mit Volvo. Wenn es notwendig würde, könnte Mercedes-Benz auf diese Kompetenz zurückgreifen, berichtet Burzer. Die Arbeitnehmerseite steht hinter dieser Strategie: „Wir konzentrieren uns auf ,Electric only‘“, bekräftigt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Ergun Lümali.

Abschied schrittweise

Auch für den Volkswagen-Konzern ist klar: „Die Zukunft ist elektrisch.“ 2026 will Europas größter Fahrzeugbauer letztmalig eine neue Plattform für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren vorstellen. Aus heutiger Sicht lautet die Zielvorstellung, dass die Volumenmarke Volkswagen Pkw und die Premiummarke Audi 2033 die letzten Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor verkaufen werden – in Europa. Weltweit stellt sich das Wolfsburger Mehrmarkenunternehmen auf unterschiedliche Geschwindigkeiten beim Wechsel in Richtung Elektromobilität sowie auf unterschiedliche Anforderungen in einzelnen Regionen ein – die „Ausphasung“ der Verbrennerproduktion werde maßgeblich von den regulatorischen Rahmenbedingungen und der Nachfrage in den Märkten abhängen. Die Marke Volkswagen Pkw peilt etwa in China und den USA im Jahr 2030 einen BEV-Anteil von über 50% gemessen an den gesamten Fahrzeugauslieferungen an. Genaue Termine bis zum Ausstieg aus dem Verbrennergeschäft in diesen Märkten werden noch nicht genannt.

Der VW-Konzern geht davon aus, dass der weltweite BEV-Anteil an den Auslieferungen bis 2025 bei rund einem Fünftel liegen wird. 2030 soll die Quote der batterieelektrischen Fahrzeuge des Konzerns gemessen an der Neuwagenflotte rund 50% ausmachen. Dementsprechend werde sich in den kommenden Jahren auch die Generierung von Cashflow und Ergebnis zunehmend vom Verbrenner zum Elektroauto verschieben. „Wenn sich die Rohstoffpreise normalisieren sollten, erwarten wir die Margenparität in den nächsten Jahren, da die Kosten eines Elektroautos durch zunehmende Skaleneffekte und Technologiesprünge sinken und gleichzeitig die eines Verbrennerfahrzeugs durch höhere Emissionsanforderungen, zum Beispiel durch Euro-7, steigen werden“, heißt es in Wolfsburg.

Genauere Prognosen, wann sich die Margen der beiden Antriebstechnologien angeglichen haben werden, gibt der Konzern aktuell nicht ab. Verwiesen wird stattdessen darauf, dass die Gesamtkosten für ein Elektroauto, die nicht nur den Kaufpreis berücksichtigen, bereits heute in einigen Ländern um rund 20% unter denen eines Fahrzeuges mit Verbrennungsmotor lägen. Mit zunehmender Verbreitung und Skalierung sollen die Kosten für E-Fahrzeuge sinken. Ein Schlüssel für den Preis sind die Batteriekosten. Um Einsparungen zu erreichen, setzt Volkswagen auf den Einsatz einer Einheitszelle. Angestrebt werden zudem Verbesserungen im Chemiemix der Batteriezellen, die eine höhere Energiedichte, schnelleres Laden und mehr Reichweite ermöglichen sollen. Um Elektroautos zum Durchbruch zu verhelfen, will Volkswagen aber auch E-Fahrzeug-Segmente unterhalb des heutigen Angebots erschließen – mit Preisen unter 30000 Euro.

Um den Umbruch aus eigener Kraft zu finanzieren, setzt der Konzern unter anderem auf eine balancierte Steuerung des Ge­schäfts mit Verbrennerfahrzeugen. „Unser Portfolio von Verbrennern ist sehr wettbewerbsfähig, und gleichzeitig erzielen wir hohe Skaleneffekte auch im Zusammenspiel mit anderen Konzernmarken wie zum Beispiel Škoda, Seat/Cupra sowie Volkswagen Nutzfahrzeuge in der Markengruppe Volumen und auch Audi“, heißt es bei Volkswagen Pkw.

Das Angebot im Verbrennerbereich soll schrittweise auf besonders nachgefragte Kernmodelle sowie margenstarke Fahrzeuge konzentriert werden – einhergehend mit der Reduzierung der Motorvarianten. Bestehende Modelle verschiedener Konzernmarken gleicher Modellfamilien wie dem VW Passat und dem Škoda Superb sollen auf Basis der Plattformstrategie in einem Werk auf einer Linie gefertigt werden, verbunden mit dem Ziel, die Werksauslastung trotz Auslaufens der Verbrennertechnologie lange hochzuhalten. Zudem will sich die Kernmarke mehr auf Facelifts und gezielte Produktaufwertungen anstatt auf vollständig neue Fahrzeuggenerationen konzentrieren. Die Frage, ob der VW-Golf – jahrzehntelang Bestseller im Konzern und das designiert letzte Verbrennermodell von VW in Europa – noch eine neunte Generation als Verbrenner erleben oder ein zweites Update erhalten wird, lässt man in Wolfsburg offen. Derweil kann sich der neue Konzernlenker Oliver Blume aber einen Golf für das reine Elektrozeitalter vorstellen. Diesen wichtigen Markennamen werde man nicht einfach aufgeben.

Durchbruch bis 2030 erwartet

Dass sich E-Autos ohne staatliche Subventionen im Laufe dieses Jahrzehnts auf breiter Ebene durchsetzen werden, davon geht ein Großteil der Automanager weltweit aus. Wie die jüngste KPMG-Branchenumfrage unter mehr als 900 Vorständen und Ge­schäftsführern bedeutender Unternehmen der Automobilbranche in 30 Ländern ergab, rechnen 70% der Befragten damit, dass E-Fahrzeuge 2030 nicht mehr teurer sein werden als Verbrenner. Als Marktführer im BEV-Bereich sieht die Mehrheit der Manager zu diesem Zeitpunkt Tesla, knapp gefolgt von Audi und BMW. Auf Platz 4 rangiert in der Umfrage Apple, vor einem Jahr noch an neunter Stelle.

Von Joachim Herr, München, und Carsten Steevens, Hamburg

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