„Bei Aktien übergewichtet“
Von Werner Rüppel, Frankfurt
In der ersten Jahreshälfte hat sich die Party am amerikanischen Aktienmarkt und an den europäischen Börsen fortgesetzt. Dabei haben sich – in Euro gerechnet – insbesondere Investments im marktbreiten US-Aktienindex S&P 500 mit einem Plus von satten 18% gelohnt. Doch wie geht es in der zweiten Jahreshälfte weiter, bleibt das Goldilocks-Szenario bestehen? „Die Weltwirtschaft läuft weiter unter Hochdruck“, sagt Robert Greil, Chefstratege von Merck Finck, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Dabei sind die USA nach wie vor die Wachstumslokomotive, und das nicht nur für die nächsten Monate.“ Die USA würden nachhaltig wachsen, die Ausgaben- und Infrastrukturprogramme würden Wirkung zeigen, und für die Jahre 2021 bis 2023 dürfte der Zuwachs des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts deutlich über 4% liegen.
Der Ausblick von Merck Finck – das Institut gehört zur Quintet Private Bank – für die zweite Jahreshälfte lautet denn auch „auf Wachstum geimpft“. Die US-Konjunktur und auch die Weltwirtschaft würden im dritten Quartal zum Wachstumspfad vor der Pandemie zurückkehren. Da die Geldpolitik der großen Notenbanken unter Führung der Fed weiterhin expansiv bleibe, ist Merck Finck zuversichtlich, dass sich die Hausse am Aktienmarkt fortsetzt. „Insgesamt bleiben wir für das zweite Halbjahr bei Aktien übergewichtet“, erklärt Greil. „Es kann zwar in den nächsten Monaten holpriger werden, der Aufwärtstrend sollte aber etwas moderater als im ersten Halbjahr weitergehen.“ Der Schlüssel für den erwarteten Fortbestand des Goldilocks-Szenarios liegt in der Geldpolitik. „Die Fed wird äußerst vorsichtig agieren. Sie dürfte die Zinsen nicht vor 2023 anheben“, betont der Chefstratege von Merck Finck. „Wir sehen eine scheinbare Inflation, rechnen also nicht mit einem nachhaltigen Inflationsdruck. Zwei Drittel des aktuellen Preisanstiegs in den USA sind eher durch vorübergehend teurere Komponenten verursacht.“
„Angetäuschte Inflation“
Greil ist sich sicher: „Der Anstieg der Verbraucherpreise wird sich daher in den USA bald verlangsamen.“ Merck Finck spricht in diesem Zusammenhang von einer „angetäuschten Inflation“. Die Notenbanken würden weltweit die Situation an der Inflationsfront analysieren und wüssten auch Basiseffekte zu erkennen und einzuschätzen. „Die Notenbanken schauen durch die Inflation, sie erkennen, dass kein nachhaltiger Inflationsdruck besteht“, erläutert Greil.
Insbesondere in Euroland würden die Zinsen auf absehbare Zeit niedrig bleiben. „Die EZB wird die Leitzinsen noch lange nicht anheben“, sagt der Chefstratege. Und sowohl die Fed als auch die EZB würden die Märkte durch ihre Kommunikation lenken. Greil wörtlich: „Die Notenbanken werden durch die Kraft ihrer Worte die Märkte beruhigen.“ In Sachen Kommunikation hätten die Notenbanken übrigens in den vergangenen Jahren sehr viel dazugelernt, es sei für sie kein Problem, den Märkten die passenden Signale zu geben.
Gleichwohl dürfte sich durch kräftiges Wirtschaftswachstum und höhere Teuerungsraten die Situation auf der Zinsseite verändern, schließlich steuerten die Notenbanken in erster Linie das kurze Ende. „Die Kurve wird in Dollar und in Euro steiler werden“, betont Greil. Vor diesem Hintergrund seien herkömmliche Staatsanleihen wie Bunds wenig interessant. „Bei Anleihen bleiben wir untergewichtet. Insbesondere sind wir zurückhaltend bei europäischen Staatsanleihen.“
Gefragt seien in den kommenden Monaten vielmehr reale Vermögenswerte, das heißt vor allem Aktien, aber auch Private Equity, ausgewählte Immobilien und Infrastruktur. „Im zweiten und dritten Quartal sollte es bei den Unternehmensgewinnen zu weiteren Aufwärtsrevisionen kommen, welche die Märkte stärken werden“, sagt der Merck-Finck-Chefstratege. Kräftig steigende Unternehmensgewinne würden also die Hausse am Aktienmarkt befördern.
Doch welche Märkte und Branchen stuft Merck Finck nun als besonders aussichtsreich ein? „Wir favorisieren IT- und Gesundheitswerte und sind für US-Aktien zuversichtlicher als für europäische Titel“, erklärt Greil. „Die Wall Street wird zudem von wieder höheren Aktienrückkäufen profitieren.“
Dax holt Luft
Eine weitere Investmentthese der Bank lautet „zurück in die Zukunft“. Denn technologische Innovationen seien das wichtigste Vermächtnis der Pandemie. „Die Digitalisierung hat sich durch die Pandemie extrem beschleunigt“, stellt Greil heraus. „Dabei handelt es sich nicht um einen Einmaleffekt. Die Digitalisierung bleibt das Thema der kommenden Jahre.“ Zudem blieben Investments in CO2-arme Aktien und „grüne“ Anleihen attraktiv. Schließlich sei Nachhaltigkeit ein weiterer zentraler Trend, der Bestand habe.
„Auch der Dax dürfte zum Jahresende höher als jetzt stehen“, erwartet Greil darüber hinaus. Bedenken hinsichtlich einer weiteren Viruswelle, steigender Ölpreise und geopolitischer Spannungen würden den deutschen Leitindex zwar aktuell noch bremsen. „Der Dax dürfte mit dem derzeitigen Seitwärtstrend nur Luft für den nächsten Anstieg holen“, sagt Greil. „Ich rechne für die zweite Jahreshälfte mit einem Dax-Anstieg im mittleren einstelligen Prozentbereich.“