Japan

Nippons Aktienmarkt startet Aufholjagd

Nach einem enttäuschenden, im internationalen Vergleich unterdurchschnittlichen ersten Halbjahr setzt Japans Aktienmarkt zur Aufholjagd an. In der zweiten Jahreshälfte wird es zu einem starken Wachstumsschub kommen, erwarten Experten.

Nippons Aktienmarkt startet Aufholjagd

Von Martin Fritz, Tokio

Im ersten Halbjahr hat Japans Aktienmarkt die Erwartungen vieler Anleger enttäuscht. Japan galt als lukrative Wette auf eine zyklische Erholung der Weltwirtschaft, da konjunktursensible Titel überproportional stark vertreten sind. Industriewerte machen 22% und Konsumwerte 19% des Nikkei 225 aus. Doch nach seinem 30-Jahres-Hoch Mitte Februar verlor der Leitindex bis zu 10% an Boden. Der marktbreite Topix rutschte nach seinem März-Hoch um bis zu 9% ab. Zuletzt erzeugten Zinsängste nach der Fed-Tagung Abwärtsdruck.

Unterm Strich stiegen die Japan-Indizes im ersten Halbjahr langsamer als viele westliche Aktienbarometer. Seit Anfang Januar rückte der Nikkei 225 um 6,5% und der Topix um 9,4% vor. Experten begründeten das schwache Abschneiden mit den anhaltenden Corona-Einschränkungen, dem Spätstart der Impfkampagne und dem nachlassenden Kreditwachstum beim wichtigsten Handelspartner China. Zu den spekulativeren Erklärungen gehört, dass die gekürzten Indexfondskäufe der Bank of Japan (BoJ) die Aktiennach­frage verringert und Investoren in ihrer Anlagebereitschaft verunsichert ha­ben. In den drei Monaten seit Anfang April erwarb die BoJ nur für 255 Mrd. Yen (1,9 Mrd. Euro) Indexfonds. Das Kauftempo liegt weit unter dem Jahreslimit von 6 Bill. Yen. Allerdings dürfte die BoJ die Zinsen auch nach Überwindung der Pandemie nicht anheben und ihr Quantitative Easing fortsetzen.

Doch seit dem kräftigen Rücksetzer vom 21. Juni haben Japans Aktien zu einer Aufholjagd angesetzt. Nikkei 225 und Topix legten jeweils um mehr als 3% zu. Denn in der zweiten Jahreshälfte dürfte es zum vorhergesagten Wachstumsschub kommen, wenn die Konsumenten mehr kaufen und die Unternehmen stärker investieren. Der Notstand wurde zum 20. Juni aufgehoben und die Einschränkungen für Bars und Restaurants wurden gelockert, nachdem die Neuinfektionen um 75% auf den Stand von März gefallen waren. Die tägliche Impfquote stieg auf 1 Million. Rund 20% der Bevölkerung sind nun mindestens einmal und 9% doppelt geimpft. Prognosen zufolge dürften 60% der Japaner bis November vor Covid-19 geschützt sein.

Die erfolgreiche Austragung der Olympischen Sommerspiele, die am 23. Juli beginnen, könnte zum Signal für ausländische Investoren werden, ins Börsenviertel Kabutocho zurückzukehren. Zuletzt hatten sie ihre sämtlichen Nettokäufe zwischen Januar und März wieder abgegeben. In der Folge sank die Japan-Gewichtung internationaler Fondsmanager laut einer Umfrage von Bank of America auf den niedrigsten Stand seit November. Der Nachholbedarf würde einen Kursschub mit sich bringen. Die UBS stufte Japan Ende Mai von „neutral“ auf „bevorzugt“ hoch. Ihre Einzelauswahl zielt auf Konsum und Tourismus und reicht vom Shinkansen-Betreiber Central Japan Railway über den „Japan Hotel Reit“ bis zum Kaufhausbetreiber Ryohin Keikaku.

Starker Anstieg der Gewinne

Fundamentale Argumente werden ebenfalls stärker: Die Unternehmensgewinne sollen laut UBS im Geschäftsjahr 2020/21 (ab 1. April) um 40% steigen. Die Firmen selbst sagen bisher ein Wachstum von 28% voraus. Die Produzenten und Exporteure werden weiter von der externen Nachfrage profitieren, während der Dienstleistungssektor besonders kräftig wachsen dürfte. Daher werden viele Unternehmen laut Vermögensverwalter Nikko AM ihre Dividenden erhöhen. Der Anteil der Firmen, die eine Erhöhung planen, sei zuletzt um 40% und damit schneller als in den vergangenen zehn Jahren gestiegen, sagte Stratege Junichi Takayama. Der Staat könnte diesen Aufschwung beflügeln: Rund 30 Bill. Yen (227 Mrd. Euro) an Covid-Hilfen im Budget wurden noch nicht ausgegeben und könnten in strategische Sektoren wie Dekarbonisierung und Digitalisierung fließen.

Allerdings dämpfen mehrere Risikofaktoren die Anlagebereitschaft. Die Delta-Virusvariante verbreitet sich trotz fast komplett geschlossener Grenzen inzwischen auch in Japan. Zugleich nahmen die Infektionen in Tokio zuletzt so stark zu, dass Politiker über einen neuerlichen Notstand nachdenken. Dazu kommt die Unsicherheit, ob sich Regierungschef Yo­shihide Suga im Amt halten kann. Sein Abschneiden bei der Parlamentswahl, die voraussichtlich im September stattfindet, entscheidet darüber, ob ihn die Regierungspartei LDP als Vorsitzenden wiederwählt und damit als Premier bestätigt.

Auch die Auswahl einzelner Aktien fällt schwer. Am Jahresanfang ge­fragte Technologiewerte wie Softbank Group, Sony und Nintendo, die Kursrekorde markierten, haben ihre Zugewinne größtenteils abgegeben. Rakuten kletterten um 26% nach der Partnerschaft mit Japan Post und dem Einstieg von Tencent. Auch einige Titel aus dem stark vertretenen Halbleitersektor zählten zu den Gewinnern, da viele neue Chipfabriken ausgerüstet werden müssen. Die im Nikkei 225 notierten Anteile von Maschinenproduzent Tokyo Electron liegen in diesem Jahr 27% im Plus. Shinko Electric Industries rückten um 73% vor – der Spezialist für die Chipstapelung wird Entwicklungspartner des Branchenriesen TSMC.

Unter den bekannteren Einzeltiteln ragt Toyota mit einem Anstieg von 24% seit dem Jahreswechsel heraus. Erstmals kostete ein Anteilschein über 10000 Yen (76 Euro). Mit einem Börsenwert von 32 Bill. Yen (242 Mrd. Euro) wurde der Autobauer damit zur schwersten Aktie in Japan. J.P. Morgan wählte Toyota, Honda und Zulieferer Denso kürzlich als Fokus-Titel im Autosektor, warnte jedoch vor dem Chipmangel und einer Inflation der Rohstoffpreise als Risiken.