„Die Tür für Zinssenkungen ist weit offen“
„Die Tür für Zinssenkungen
steht weit offen“
VÖB-Experten erwarten mehrere Schritte der EZB
wrü Frankfurt
„Die Luft ist dünn geworden“, so hat Jürgen Michels, der Chefvolkswirt und Leiter Research der Bayern LB, die aktuelle Entwicklung am Aktienmarkt kommentiert. Mit rund 30% Kursgewinnen in diesem Jahr gebe es am US-Aktienmarkt „viele Vorschusslorbeeren“, sagte Michels bei der Vorstellung der VÖB-Kapitalmarktprognose in Frankfurt. Der Dax, der am Mittwoch auf ein neues Allzeithoch von mehr als 20.200 Punkten geklettert ist, könne vielleicht noch zu einer Jahresschlussrally ansetzen. Im kommenden Jahr werde es dann aber zu einem „Reality-Check“ kommen. So profitierten deutsche Unternehmen nicht von Steuersenkungen in den USA. Daher bleibe die Prognose der Bayern LB eines Dax-Stands von 20.500 Punkten in zwölf Monaten unverändert.
Recht einig waren sich die Vertreter der öffentlichen Banken in ihrer Einschätzung des US-Anleihemarkts. Dort sorgt die Politik des neuen US-Präsidenten Donald Trump mit Zöllen und die Verknappung des Arbeitskräfteangebots über eine Einschränkung der Inflation laut Michels für inländischen Preisdruck. Hinzu kämen die Trump-Defizite, welche die Haushalte unter Druck setzten. Dies schränke den Zinssenkungsspielraum der Fed ein. Auch bei uns werde der Inflationsdruck steigen und den Senkungsspielraum der EZB einschränken.
Auch eine Konjunkturkrise
Christian Lips, Chefvolkswirt der Nord LB, stellte vor der Presse die erheblichen ökonomischen Probleme in Europa heraus. Die wirtschaftliche Unsicherheit habe sich durch die Wahl Trumps und dem Aus der Ampel-Regierung in Deutschland erheblich erhöht. Und gerade in Branchen wie der Autobranche oder dem Maschinenbau seien die Vulnerabilitäten hierzulande hoch. Hingegen hätten sich die Erwartungen für die USA durch die Wahl Trumps erhöht. „Wir haben nicht nur eine Strukturkrise, sondern auch eine Konjunkturkrise“, stellte Lips zur Situation in Deutschland fest. Die Inflation bleibe zwar hartnäckig, tendiere aber 2025 in Richtung 2%. Die EZB werde auf Sicht fahren. „Doch steht die Tür für weitere Leitzinssenkungen weit offen“, sagte Lips. Im Dezember gebe es wohl eine enge Entscheidung zwischen 25 und 50 Basispunkten.
Störenfried Trump
Auch nach Meinung von Birgit Henseler, Analystin für Geldpolitik und Zinsprognose bei der DZ Bank, ist Trump der „Störenfried“. Die Inflationsrate in den USA werde im kommenden Jahr relativ stark ansteigen. Daher bestehe nur begrenzter Spielraum für Leitzinssenkungen der Fed. „Wir erwarten ab Mai eine Pause“, erklärte Henseler zu US-Leitzinssenkungen. Vor diesem Hintergrund geht die DZ Bank von einem Anstieg der Renditen von zehnjährigen US-Treasuries auf Sicht von zwölf Monaten aus. “Wir erwarten eine Rendite von 5% für zehnjährige Treasuries", sagte Henseler. In der Eurozone werde die Inflationsrate zwar getragen von industriellen Gütern im kommenden Jahr etwas ansteigen. Doch habe die EZB Potenzial, ihren Einlagensatz weiter bis auf ein Niveau von 1,75% zu senken.
Nach Meinung von Thomas Meißner, als Abteilungsleiter Research zuständig für die Finanzmarktstrategie der LBBW, liegt der optimale Zeitpunkt, um am Euro-Anleihemarkt einzusteigen bereits hinter uns. „Besser wird es nicht mehr“, erklärte Meißner. Allerdings sieht er auch keine großen Gefahren eines massiven Renditeanstiegs für Bundesanleihen. Die LBBW prognostiziert eher eine Seitwärtstendenz. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen erwartet sie in sechs Monaten bei 2,25% und in zwölf Monaten bei 2,20%. „Der Fahrplan ist schon geschrieben“, erklärte Ulf Krauss, stellvertretender Abteilungsdirektor im Helaba Research & Advisory, zu den Leitzinssenkungen der EZB. Diese würden in Richtung 2% gehen.