BIP-Revision

Deutsche Wirtschaft doch nicht so fit wie gedacht

Die deutsche Wirtschaft ist im Sommer doch nur um 0,1% gewachsen. Während der Konsum zugelegt hat, bremsen Investitionen und Exporte. Die Rezession gilt eher als verschoben denn vermieden.

Deutsche Wirtschaft doch nicht so fit wie gedacht

Wirtschaft doch nicht so fit wie gedacht

Deutsches BIP legt nur um 0,1 Prozent zu − Konsum steigt − Exporte sinken

ba Frankfurt

Die deutsche Wirtschaft hat sich im Sommer doch nicht so gut gehalten, wie zunächst gemeldet. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) preis-, saison- und kalenderbereinigt nur um 0,1% im Quartalsvergleich gestiegen. Die Erstschätzung hatte noch ein Plus von 0,2% ergeben, nachdem das BIP im Frühjahr um 0,3% geschrumpft war. Zu Jahresbeginn stand noch ein Plus von 0,2% auf dem Papier. „Nach dieser insgesamt verhaltenen Entwicklung in der ersten Jahreshälfte startet die deutsche Wirtschaft mit einem kleinen Plus in das zweite Halbjahr 2024“, erinnern die Wiesbadener Statistiker.

„Deutschland befindet sich in einer quälend langen Stagnationsphase“, meint Andreas Scheuerle von der DekaBank. „Während sich die konjunkturellen Belastungen allmählich ausschleichen, bleiben wir auf den strukturellen Problemen so lange sitzen, bis die Politik den großen (Reform-)Wurf wagt.“ Für LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch liegen die Zahlen „schon etwas dichter an der Wahrnehmung der Konjunktur und der Mehrzahl der Indikatoren als die erste Schätzung“. Erfreulich sei allenfalls, „dass sich der private Verbrauch nun endlich etwas besser entwickelt“.

ING-Chefökonom Carsten Brzeski mahnt, die Zahlen nicht als Zeichen einer Erholung zu werten, „sondern eher als Bestätigung, dass die deutsche Wirtschaft in der Stagnation feststeckt und jetzt kaum größer ist als zu Beginn der Pandemie vor mehr als vier Jahren“. Die negativen Nachrichten der vergangenen Monate mit Unternehmensumstrukturierungen, einer immer noch wachsenden Zahl von Insolvenzen und sogar dem Zusammenbruch der Regierung zeigten, welchen Tribut vier Jahre Stagnation fordern können. „Auch wenn die deutsche Wirtschaft eine Sommerrezession vermieden hat, droht eine Winterrezession“, mahnt Brzeski. Über den Winter hinaus würden die deutschen Wachstumsaussichten „stark von der Fähigkeit der neuen Regierung abhängen, die Binnenwirtschaft inmitten eines möglichen Handelskriegs und einer noch stärkeren Industriepolitik in den USA zu stärken“.

Verbraucher retten das Ergebnis

Die Verbraucher zeigten sich ausgabefreudig und retteten die hiesige Wirtschaft vor einer technischen Rezession, also zwei Minusquartalen in Folge. Die privaten Konsumausgaben stiegen nach dem Rückgang im Frühjahr preis-, saison- und kalenderbereinigten um 0,3% gegenüber dem Vorquartal. „So gaben die Verbraucher unter anderem mehr für Verbrauchsgüter aus, beispielsweise für Nahrungsmittel und Getränke“, erklärten die Statistiker. Allerdings stieg die Sparquote auf 10,6%, im Vorjahr lag sie bei 9,4%. Auch der Staatskonsum legte zu, und zwar um 0,4%. Insgesamt erhöhten sich die Konsumausgaben um 0,3%.

Leicht negative Impulse kamen laut Destatis dagegen von den Investitionen: In Ausrüstungen – also vor allem in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge – wurde 0,2% weniger investiert als im Vorquartal, bei Bauten ergibt sich ein Minus von 0,3%. „Sowohl die Bau-, als auch die Ausrüstungsinvestitionen waren schon im zweiten Quartal zurückgegangen, das Minus war mit −2,2 % beziehungsweise −3,4 % jedoch deutlich größer gewesen“, hieß es weiter.

Exporte geben nach

Der Außenhandel brachte gleichfalls einen negativen Impuls, da die Importe um 0,2% leicht zulegten, während die Exporte um 1,9% niedriger als im Vorquartal ausfielen. Treiber der Entwicklung waren jeweils die Warenein- und Ausfuhren mit +1,3% bzw. −2,4%. Und Besserung ist nicht in Sicht, wie der Blick auf einen Frühindikator zeigt: So sind die Exporte in die Staaten außerhalb der EU, die sogenannten Drittstaaten, im Oktober kalender- und saisonbereinigt um 6,9% zum Vormonat auf einen Warenwert von 55,1 Mrd. Euro gefallen. Dabei sanken die Exporte in die USA um 6,4% auf 13,4 Mrd. Euro, nach China wurden Waren im Wert von 7,1 Mrd. Euro geschickt, das waren 10,1% weniger als im Vorjahresmonat. Allerdings, so erklärt Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen, „wurden diese vorläufigen Werte für die Drittländer-Exporte in den vergangenen Monaten immer wieder deutlich nach oben revidiert“. Zudem ist der Indikator nur ein Fingerzeig, da der Handel mit Drittstaaten nicht immer parallel zu dem mit den EU-Staaten verläuft.

Die meisten Bereiche lagen im dritten Quartal im Minus, allen voran das verarbeitende Gewerbe (−1,4 %) und das Baugewerbe (−1,2 %). Insbesondere in zwei Kernbranchen, dem Maschinenbau und der Herstellung von chemischen Erzeugnissen zeigten sich laut Destatis starke Produktionsrückgänge. Zugelegt haben hingegen der öffentliche Dienst und das Gesundheits- und Erziehungswesen. „Mehr oder weniger sind das Bereiche, die von Beiträgen und Steuern finanziert werden“, mahnt LBBW-Ökonom Niklasch.

Erstmals seit drei Jahren weniger Erwerbstätige

Die Zahl der Erwerbstätigen mit Arbeitsort in Deutschland gab erstmals seit dem ersten Quartal 2021 nach − nämlich um 45.000 Personen oder 0,1%. Im Schnitt leistete jede erwerbstätige Person 0,2% mehr Arbeitsstunden als im Vorjahr. Die Bruttolöhne und -gehälter kletterten um 5,3%.

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