Euroraum lässt Deutschland hinter sich
Euroraum lässt Deutschland hinter sich
Wachstumsprognosen im Konjunkturtableau erneut gesenkt – Inflation nähert sich erst 2025 EZB-Ziel an
Von Alexandra Baude, Frankfurt
Der Konjunkturpessimismus nimmt angesichts der geopolitischen Unsicherheiten, der hohen Zinsen und Energiekosten und der flauen Weltwirtschaft deutlich zu. Dem Euroraum, vor allem aber deren größter Volkswirtschaft Deutschland wird für das laufende Jahr immer weniger zugetraut, wie das Konjunkturtableau der Börsen-Zeitung und des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt. Ein ähnliches Bild zeichnet auch die Economic Experts Survey (EES), die vierteljährliche Umfrage des Ifo-Instituts und des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik.
Erneute Abwärtsrevision
Im Konjunkturtableau, für das das ZEW aus den Prognosen die Medianwerte bestimmt, sind die Voraussagen für 2024 erneut nach unten revidiert worden. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll im Euroraum um 0,7% steigen – vergangenen Monat lag die Voraussage noch 0,1 Prozentpunkte höher. Nachdem aber zugleich die Spannweite der individuellen Wachstumserwartungen von 1,7 auf 1,3 Prozentpunkte gesunken ist, „herrscht eine vergleichsweise hohe Einigkeit unter den Experten“, wie Alexander Glas vom ZEW betont. Für 2025 wird unverändert ein deutlich stärkeres Plus von 1,5% erwartet. Hauptverantwortlich für den positiveren Ausblick für das kommende Jahr ist Glas zufolge der europäische Außenhandel: „Sowohl bei den Exporten als auch bei den Importen werden Wachstumsraten in Höhe von 2,5% erwartet“, erklärt der ZEW-Experte.
2025 soll Wirtschaft anspringen
Ähnlich steht es um die Erwartungen an die deutsche Konjunktur: Die BIP-Prognose für das laufende Jahr wurde um 0,1 Prozentpunkte auf 0,3% gesenkt. „Dieser Wert deckt sich mit der neulich durch die OECD veröffentlichten Prognose für Deutschland“, wie Glas betont. Für 2025 sind die Erwartungen deutlich optimistischer: Es wird weiter ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 1,2% erwartet.
Rezessionswahrscheinlichkeit von 38%
Auch im vierteljährlichen EES wird mit Skepsis auf die Konjunktur hierzulande geblickt: Die 1.431 vom Ifo-Institut befragten Wirtschaftsexperten aus 124 Ländern halten das Risiko einer Rezession in ihrem eigenen Land bis Ende 2024 für beachtlich. In Europa gelte das insbesondere für Deutschland, das Vereinigte Königreich und die Niederlande – hier wird laut Ifo jeweils eine Wahrscheinlichkeit von 38% angegeben. Etwas weniger besorgt sind die Befragten in anderen europäischen Volkswirtschaften, wie der Schweiz (17%), Irland (20%), Spanien (22%), Frankreich (23%) oder Italien (27%). Allerdings sind auch US-Experten vorsichtig: Sie schätzen mit 26% die Wahrscheinlichkeit einer Rezession „immer noch als nicht unerheblich“ ein, wie die Münchener Wirtschaftsforscher erklären.
Hauptfaktoren für die erhöhten Rezessionswahrscheinlichkeiten sind geopolitische Ereignisse mit 43% und Energiepreise mit 33% der Antworten, analysiert Ifo-Forscher Philipp Heil. Eine wichtige Rolle würden aber auch nicht tragbare öffentliche Finanzen und politische Instabilität spielen. Während in Deutschland vor allem geopolitische Ereignisse und Energiepreise mit jeweils über 50% der Antworten dominierten, würden französische Umfrageteilnehmer hauptsächlich Bedenken hinsichtlich der Geldpolitik sowie der geopolitischen Ereignisse mit je 35% äußern. Sie seien zudem wesentlich besorgter über Handelskriege und Protektionismus als andere Befragte in Europa.
Große Uneinigkeit bei Inflationsentwicklung
Anders als beim Wirtschaftswachstum sind sich die Experten weniger einig, wie sich die Inflation wohl in diesem Jahr weiterentwickeln wird – die Spannbreiten bei den Erwartungen im Konjunkturtableau sind groß: Für den Euroraum wird ein Jahresschnitt von unverändert 2,5% prognostiziert, die Differenz zwischen der höchsten und der niedrigsten Schätzung liegt bei 3,6 Prozentpunkten. Für Deutschland wurde die Prognose um 0,1 Prozentpunkte auf 2,7% gesenkt – der Unterschied beträgt hier 4,4 Prozentpunkte. Die Mehrheit der Experten bleibt Glas zufolge allerdings bei der Einschätzung, dass im kommenden Jahr eine spürbare Annäherung an das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) gelingt: Hier werden jeweils Inflationsraten von unverändert 2,2% angegeben, wobei die Spannweiten der Teuerungsraten mit Werten von 1,5 (Eurogebiet) bzw. 1,0 (Deutschland) Prozentpunkten vergleichsweise gering ausfallen.
Vergleichsweise hohes Zinsniveau erwartet
Die Erwartungen an die kurzfristigen Zinsen im Euroraum wiederum sind um 0,1 Prozentpunkte auf 3,5 Punkte gesunken. Die Prognose für das Jahr 2025 liegt mit 3,0 Punkten um 0,2 Prozentpunkte über dem vorherigen Wert. „Der Aussicht auf baldige Zinssenkungen durch die EZB zum Trotz gehen die Experten demnach auch längerfristig von einem vergleichsweise hohen Zinsniveau aus“, analysiert Glas die Werte. Es sei möglich, dass die Zinserwartungen zumindest teilweise durch das Zögern der EZB und der Federal Reserve bei den Zinsentscheiden beeinflusst seien.
Die erneute Abwärtsrevision der BIP-Prognosen im Konjunkturtableau zeigt, wie groß die Sorgen der Ökonomen vor allem um Deutschland sind. Aber auch dem Euroraum wird erst im kommenden Jahr wieder mehr zugetraut. Zumindest die Inflation nähert sich allmählich dem EZB-Preisziel an.