Gewaltige Finanzierungslücken

US-Pensionsfonds stecken im Teufelskreis

US-Pensionsfonds haben das schwächste Jahr seit 2009 hinter sich. Doch der Druck, bedrohliche Finanzierungslücken zu schließen, treibt die Vehikel in zunehmend riskantere Anlagen.

US-Pensionsfonds stecken im Teufelskreis

US-Angestellte im öffentlichen Dienst sehen derzeit ihre Altersvorsorge dahinschmelzen. Denn Pensionsfonds, die Rücklagen von Berufsgruppen wie Polizisten, Feuerwehrleuten und Lehrern verwalten, haben das zum 30. Juni beendete Fiskaljahr mit einem Performance-Minus von 7,9% abgeschlossen, wie Daten des Analysedienstleisters Wilshire zeigen. Schlechter fiel die Entwicklung zuletzt im Jahr 2009 aus, als die Vehikel um 17,4% einbrachen. Aus der Schwäche resultieren nicht zu unterschätzende Probleme – denn in der Folge dürften den US-Kassen mehrere 100 Mrd. Dollar weniger zur Verfügung stehen, als sie zur Deckung künftiger Pensionsansprüche eigentlich benötigten.

Noch im vorangegangenen Jahr bescherte die Rekordrally an den Aktienmärkten den Vehikeln im landesweiten Durchschnitt ein kräftiges Performance-Plus von 27%. Dementsprechend schnellte auch die sogenannte „Funded Ratio“, also der Quotient aus den Assets der Pensionsfonds und ihren Verpflichtungen, um nahezu 15 Prozentpunkte auf 86% in die Höhe – womit die Kassen aber immer noch deutlich unterfinanziert blieben. Diese Situation dürfte sich laut Wilshire noch verschärft haben, der Analysedienstleister rechnet für das Gesamtjahr 2022 mit einem Rückgang der aggregierten Funded Ratio auf 73,3%.

Einstieg in den Kryptomarkt

Bereits kleinere Finanzierungslücken führten in der Vergangenheit dazu, dass die Pensionsfonds sich in eine Art Teufelskreis begaben: Im Versuch, offensiv formulierte Renditeziele von durchschnittlich 7% per annum zu erfüllen und das Wachstum ihrer Assets wieder dem ihrer Verpflichtungen anzugleichen, wagten sie sich in zunehmend riskantere Anlagen vor. Eine Fortsetzung dieser Entwicklung steht auch für die Zukunft zu befürchten. So lag die Aktienallokation in den Portfolios zum Abschluss des alten Fiskaljahres bei hohen 57% – zugleich sind einige Vehikel in den vergangenen Monaten auch in den Kryptomarkt eingestiegen. Beobachter verweisen zum Beispiel auf einen Ruhestandsfonds, der sich an Feuerwehrleute in der texanischen Metropole Houston richtet. Dieser investierte im vergangenen Oktober 25 Mill. Dollar in die nach Marktkapitalisierung führenden Cyberdevisen Bitcoin und Ether.

Damals befanden sich die Digital-Assets-Märkte gerade inmitten einer gewaltigen Rally, die Einführung Futures-basierter Bitcoin-ETFs ließ Anleger darauf hoffen, dass Krypto-Anlagen der lange erhoffte Sprung in den Mainstream gelingen würde. Anfang November 2021 kletterte Bitcoin auf ein Rekordhoch von nahezu 69000 Dollar – im laufenden Jahr ist die Euphorie im Segment jedoch tiefgreifender Verunsicherung gewichen. Entscheidend dazu beigetragen hat der Crash des Stablecoins TerraUSD, der eigentlich Wertstabilität gewährleisten sollte, seine Bindung zum Dollar im Mai aber vollständig verlor und ins Bodenlose abstürzte.

In der Folge gerieten auch zahlreiche Lending-Plattformen, die Investoren mit hohen Renditeversprechen zum Verleih von Stablecoins und anderen Kryptotoken gelockt hatten, in Schieflage. So musste der Anbieter Celsius Network im Juli Insolvenz anmelden – noch im vergangenen Herbst war die Caisse de dépôt et placement du Québec mit 150 Mill. Dollar bei dem Digital-Assets-Dienstleister eingestiegen, nun schrieb sie die Beteiligung ab. In diesem Fall war zwar keine US-, sondern eine kanadische Kasse betroffen. Dennoch zeigt die Entwicklung die Gefahren des Drangs von Pensionsfonds in spekulativere Assets. Auch amerikanische Bundesbehörden beobachten die zunehmende Aktivität am Kryptomarkt mit Unbehagen: Das US-Arbeits­ministerium ermahnte Betreiber sogenannter 401k-Pläne – dabei handelt es sich um vom Arbeitgeber mitfinanzierte Vorsorgeprogramme – im März, ihre Teilnehmer nur unter umfassenden Vorsichtsmaßnahmen in Cyberdevisen investieren zu lassen.

Pensionsfonds, die bereits eine Allokation am Kryptomarkt aufgebaut haben, droht laut Analysten indes noch beträchtliches Rückschlagspotenzial. Dafür sorgt auch die kontraktive Geldpolitik der Federal Reserve. Schließlich treffen der resultierende Liquiditätsentzug und die im laufenden Jahr deutlich gestiegene Risikoaversion an den globalen Finanzmärkten spekulativ geprägte Assets wie Cyberdevisen besonders hart. Dies gilt umso mehr, als sich im Zuge der lang anhaltenden Rally in den Jahren 2020 und 2021 neben Pensionsfonds auch andere institutionelle Investoren in den Markt für digitale Anlagen vorgewagt haben.

Krypto-Enthusiasten hatten diesen Einstieg zuvor lange herbeigesehnt. Allerdings führt das verstärkte Engagement institutioneller Investoren vor allem dazu, dass die Korrelation zwischen der Performance von Cyberdevisen und der Wertentwicklung in anderen Assetklassen massiv gestiegen ist. So hielt sich der Koeffizient zwischen Bitcoin und dem marktbreiten S&P 500 zuletzt monatelang um Niveaus von 0,75 – wobei ein Wert von 1 eine perfekte Korrelation anzeigen würde.

Der starke Gleichlauf liegt laut der DZ Bank vor allem daran, dass institutionelle Investoren im Gegensatz zu Bitcoin-Befürwortern der ersten Stunde nicht ideologisch vorgehen, sondern ihre Portfolios entsprechend der jeweiligen Risikoneigung anpassen. In schwierigen Marktphasen und Zeiten knapper Liquidität verkaufen sie also spekulative Assets, was den Druck auf Bitcoin dann entsprechend verstärkt.

Mangel an Diversifikation

Der deutlich restriktivere Kurs, den die Federal Reserve seit März eingeschlagen hat, führte zwischenzeitlich zudem zu deutlichen Renditeanstiegen bei US-Staatsanleihen, die als sicherer Anlagehafen gelten. Zugleich lastete die geldpolitische Straffung massiv auf der Stimmung an den Aktienmärkten – anhand dieser parallelen Entwicklung zwischen Risk-off- und Risk-on-Assets wird das nächste große Problem der Pensionsfonds deutlich. Denn die Vehikel finden nicht mehr im ausreichenden Maß Diversifikationsmöglichkeiten vor, um sich gegen fallende Kurse in einer bestimmten Anlageklasse abzusichern und die eigene Performance zu stabilisieren.

„Die 20 größten US-Pensionsfonds für Angestellte im öffentlichen Dienst allokieren alternative Investments wie Private Equity, Immobilien oder Hedgefonds mit ungefähr 26% ihres verwalteten Vermögens“, halten die Analysten von Bloomberg Intelligence fest. „Dies sollte im laufenden Jahr aber nicht die Erwartung von Vorteilen wecken, da die Korrelation zwischen verschiedenen Assets enorm hoch ausfällt.“

Über alle Anlageklassen, von Bonds über US- und internationale Aktien bis zu Alternatives, lasse sich der Koeffizient auf 0,66 beziffern, damit falle er höher aus als während der globalen Finanzkrise 2008 oder zu jedem sonstigen Zeitpunkt in den vergangenen drei Jahrzehnten. Im Median dieses Zeitraums lag der Korrelationskoeffizient demnach bei 0,42. Aktien und Anleihen, jeweils dargestellt durch den Russell 1 000 und den Bloomberg US Aggregate Bond Index, wiesen in den vergangenen 20 Jahren gar eine negative Korrelation auf, die sich seit Anfang 2020 umgekehrt hat.

Trotz der hohen Korrelation ergeben sich je nach Liquidität und Markttiefe des jeweiligen Anlagewerts unterschiedlich hohe Verluste. Besonders schwach haben sich dabei die Private-Equity-Investments amerikanischer Pensionsfonds entwickelt: Im bisherigen Jahresverlauf steht in der Assetklasse laut Bloomberg Intelligence bisher ein durchschnittliches Performance-Minus von 36%. Dies treffe die Pensionsfonds umso schwerer, als sie ihre Private-Equity-Engagements in den vergangenen 15 Jahren stetig ausgebaut hätten. So ist die Allokation in diesem Zeitraum laut dem Informationsdienstleister von 5,4% auf 11,9% gestiegen. Bei einzelnen Kassen falle sie noch höher aus, für das Maryland State Retirement and Pension System habe sie sich zuletzt gar auf 17,1% belaufen.

Value-Anlagen verblassen

Die Portfolios wiesen dabei ein Übergewicht in Sektoren mit langer Kapitallaufzeit, zum Beispiel der Technologiebranche, auf. Für diese besteht aber über die Haltedauer das Risiko erheblicher Renditeschwan­kungen und substanzieller Diskontierungen. Beteiligungen mit kurzer Kapitallaufzeit, also mit hohem Value-Faktor, hoher Profitabilität und geringem Risiko „verblassen im Vergleich“, heißt es bei Bloomberg Intelligence.

Angesichts der schwachen Performance in den bereits bestehenden Beteiligungen wird es für die Pensionskassen indes erheblich schwieriger, Mittel für neue Buy-out-Fonds bereitzustellen. Während die Altersvorsorge-Vehikel der US-Beamten also als Finanzierungsquellen für Private-Equity-Manager zunehmend wegfallen, füllen Staatsfonds – insbesondere aus den Ländern des Nahen Ostens und anderen Regionen mit hoher Ölproduktion – die entstehende Lücke. Üblicherweise legen diese Vehikel ihre Finanzen nicht offen. Doch laut dem Sovereign Wealth Institute haben Staatsfonds aus dem Nahen Osten im bisherigen Jahresverlauf Wertzuwächse von 20% auf 3,75 Bill. Dollar verzeichnet.

Mit diesen Vehikeln um Deal-Gelegenheiten zu konkurrieren dürfte für US-Pensionsfonds laut Analysten nicht einfach werden. Mit ihrer bereits hohen Private-Equity-Exposition machten sich die amerikanischen Kassen unterdessen noch anfälliger für die negativen Effekte von Fed-Zinserhöhungen als ohnehin schon.

Ein Ende des kontraktiven Kurses der US-Währungshüter ist unterdessen nicht in Sicht. Schließlich hat der Fed-Vorsitzende Jerome Powell die Marktteilnehmer während einer Rede auf dem Notenbank-Symposium in Jackson Hole zuletzt auf weitere deutliche Zinserhöhungen eingestimmt. Die Bekämpfung der Inflation hat für die Federal Reserve Priorität – amerikanische Pensionsfonds suchen der hohen Teuerung indes auch durch Immobilieninvestments zu begegnen.

Fokus verschiebt sich

Dabei verschiebt sich allerdings ihr Fokus: Statt auf Bürogebäude in Innenstädten setzen sie nun zunehmend auf Lagerhallen, Laboreinrichtungen, Wohngebäude und Infrastruktur, zum Beispiel Flughäfen. Der Immobilienarm des kanadischen, 90 Mrd. Dollar schweren Ontario Municipal Employees Retirement System etwa will seine Beteiligung an Büroflächen innerhalb der nächsten zehn Jahre auf 20% des Portfolios reduzieren – aktuell liegt der Anteil bei 25%, vor sechs Jahren belief er sich noch auf 44%.

Der Wandel ergibt laut Marktstrategen durchaus Sinn: Schließlich führe der Homeoffice-Trend, der wohl auch über das Ende der Corona-Pandemie hinaus anhalten werde, zu einem sinkenden Bedarf an Büroflächen. Zugleich würden mehr Forschungseinrichten für Biomedizin und ähnliche Gebiete benötigt.

Die veränderte Immobilienstrategie dürfte laut Beobachtern aber nur in geringem Umfang dazu beitragen, die heftigen Verluste der Pensionsfonds in anderen Assetklassen aufzufangen. Infolge der Performanceschwäche werden die Bundesstaaten, Bezirke und Kommunen in den kommenden Jahren wohl höhere Rentenbeiträge aufbringen müssen. Dies dürfte laut Analysten wiederum dazu führen, dass Regierungen Steuern anheben und anderweitig höhere Einnahmen generieren müssten. Ebenso sei damit zu rechnen, dass Leistungen der öffentlichen Hand gekürzt würden, um Kosten zu sparen. Der Teufelskreis, in dem die Pensionsfonds stecken, droht sich damit verstärkt auf die aktuelle Arbeitsbevölkerung auszuweiten.

Von Alex Wehnert, Frankfurt

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