JSA24Rüstungsindustrie

Die deutschen Rüstungskonzerne stehen vor großen Herausforderungen

Die deutsche Rüstungsindustrie hat zwar glänzende Ertragsaussichten und die Aktienkurse gehen teilweise durch die Decke. Sie hat aber das Problem, dass die Stückzahlen der von ihr gelieferten Waffensysteme viel zu niedrig sind.

Die deutschen Rüstungskonzerne stehen vor großen Herausforderungen

Rüstungskonzerne stehen vor großen Herausforderungen

Die Ertragsaussichten sind hervorragend, aber die Bewertungen sind hoch und die Stückzahlen an gelieferten Rüstungsgütern erschreckend niedrig.

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Die sich verändernde Welt ist durch stark steigende geopolitische Spannungen zwischen den USA und ihren Verbündeten sowie den anderen Großmächten China und Russland gekennzeichnet. Daher haben sämtliche globale Parteien ihre Rüstungsanstrengungen erheblich verstärkt, wovon im Westen die Rüstungsindustrie in hohem Maß profitiert. Davon haben insbesondere auch die europäischen börsennotierten Rüstungskonzerne erhebliche Vorteile gehabt, was sich auch an der Börse niedergeschlagen hat. So hat sich beispielsweise der Aktienkurs von Rheinmetall 2024 per Mitte Dezember mehr als verdoppelt. Gegenüber dem Stand von Anfang 2021 – die Hausse der Aktie begann in jenem Jahr – hat sich der Kurs sogar mehr als verfünffacht. Die Bewertung ist anspruchsvoll: Der Titel kommt auf ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der Ergebnisse der vergangenen zwölf Monate von 49. Eine solchen Wert erreichen nicht einmal die großen sieben amerikanischen Technologiewerte, so kommt beispielsweise Microsoft auf 37.

Renk an der Börse schwächer

Ein anderes deutsches Rüstungsunternehmen hat an der Börse nicht so gut abgeschnitten: Von der britischen Private-Equity-Firma Triton ist im Februar mit einer sehr hohen Bewertung Renk an die Börse gebracht worden, seither war ein Kursrückgang von 30% zu verzeichnen. Gleichwohl liegt das KGV mit 97,1 in schwindelerregenden Höhen. Das gilt noch mehr für Hensoldt mit einem KGV von 227, was aber die Anleger nicht zur Zurückhaltung bewegt hat. Im bisherigen Jahresverlauf hat sich der Titel um fast 40% verteuert. Auch andere europäische Rüstungskonzerne haben gut abgeschnitten, etwa die italienische Leonardo mit einem Kursanstieg von etwas mehr als 70%. Allerdings gibt es auch Konzerne mit einer verhaltenen Kursentwicklung, so etwa Airbus oder die britische BAE Systems.

Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs haben die Spannungen in Europa stetig zugenommen, dementsprechend steigen die Rüstungsausgaben. So erfüllten im vergangenen Jahr nach offiziellen Nato-Schätzungen gerade einmal zehn von 31 Mitgliedern des westlichen Verteidigungsbündnisses die offizielle Vorgabe, dass die Rüstungsausgaben 2% des Bruttoinlandsproduktes ausmachen sollen. Für 2024 wird davon ausgegangen, dass es bereits 23 Länder sein werden. Das Ziel von 2%, dürfte noch nicht das letzte Wort sein, so hat beispielsweise EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende November eine „massive“ Ausweitung der Rüstungsausgaben gefordert. Deutschland hat bereits mit 2,12% die Marke überschritten. Und es dürfte noch mehr gehen, denn in der jüngeren Vergangenheit hatten NATO-Staaten auch bereits deutlich mehr für Verteidigung ausgegeben, etwa Frankreich im Jahr 1962 auf dem Höhepunkt des Kolonialkriegs in Algerien 5,89% und Großbritannien 1956 während der Suez-Krise 7,66%. Selbst 1981 haben die Briten noch 4,46% für Rüstung aufgewendet. Dementsprechend beurteilen die Anleger und die Analysten die Aussichten für die europäischen Rüstungskonzerne als sehr gut, wenn gleich vieles davon bereits in den aktuellen Bewertungen enthalten ist.

Schleppend verlaufende Aufrüstung

Allerdings gibt es ein Problem. Wie einer aktuellen Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zu entnehmen ist, verläuft die deutsche Wiederbewaffnung äußerst schleppend. Die enormen Mittel, die der Rüstungsindustrie zugute kamen, haben bislang noch nicht zu einer nennenswerten Steigerung der deutschen Verteidigungsbereitschaft geführt. Seit Februar 2022, dem Beginn des Ukraine-Kriegs, sei für eineinhalb Jahre überhaupt nichts passiert, erst seit Ende 2023 gebe es eine gewisse Beschleunigung. Gleichwohl werde Deutschland das Niveau der 2004 vorhandenen Waffen und Waffensysteme der Bundeswehr beim gegenwärtigen Tempo in 100 Jahren nicht erreichen, so das Ergebnis der Studie. Besonders deutlich wird das am Beispiel der Kampfpanzer. Im Jahr 2004 habe Deutschland über 2.398 Stück verfügt. 2021 waren es gerade einmal 339. Von Februar 2022 bis Juli 2024 wurden im Durchschnitt 49,2 Panzer pro Jahr neu bestellt. Sollte dieses Niveau beibehalten werden, wäre im Jahr 2066 die Zahl von 2004 wieder erreicht. Noch schlimmer sieht es bei den deutschen Artillerie-Haubitzen aus, bei denen unter Annahme der gegenwärtigen Produktionsrate erst im Jahr 2121 wieder der Stand von 2004 erreicht würde.

Das langsame Tempo der Aufrüstung hängt ohne Zweifel mit den enormen Kosten zusammen, die die Rüstungsindustrie dem Staat berechnet. Dies lässt sich beispielsweise an den schweren Kampfpanzern aufzeigen. Im Juli hat die Bundeswehr 105 Kampfpanzer des Typs Leopard 2A8 bestellt. Laut Bundesverteidigungsministerium betragen die Kosten 2,9 Mrd. Euro. Damit kostet ein einzelner Panzer 27,6 Mill. Euro. Im Mai 2023 hatte die Bundeswehr 18 Panzer für 525,6 Mill. Euro bestellt, also für 29,2 Mill. Euro pro Stück. Hier zeigt sich, was geschieht, wenn der Staat bei eng begrenzten Produktionskapazitäten viel mehr Geld zur Verfügung stellt: Es steigen einfach die Preise. Vor wenigen Jahren waren für das Vorgängermodell Leopard 2A7V lediglich rund 15 Mill. Euro zu entrichten.

Eklatanter Gegensatz

Hier ergibt sich ein eklatanter Gegensatz zu Russland. Gemäß den bisherigen veröffentlichten Daten zu Ausfuhren in andere Länder zahlen Exportkunden für den russischen T90, der sich im Ukraine-Krieg in etwa als gleichwertig erwiesen hat, rund 4,5 Mill. Dollar. Da sich die russische Rüstungsindustrie in staatlichem Eigentum befindet, kann davon ausgegangen werden, dass die Kosten pro Panzer für die russische Armee noch deutlich niedriger sind, weil die Gewinnspanne entfällt. Dieser große Kostenvorteil schlägt sich auch in den Produktionszahlen nieder. Das Kiel-Institut schätzt, dass Russland allein im zweiten Quartal 2024 etwa 387 Kampfpanzer produziert hat. Damit hätte Russland allein im zweiten Quartal mehr Panzer produziert als Deutschland derzeit besitzt.

Aber was bedeutet das für die kommenden Jahre? Das Kiel-Institut geht davon aus dass es nur zu einem langsamen Anstieg der Produktionskapazitäten für Rüstungsgüter in Europa kommen wird.

Das zeigt sich auch bei den im Ukraine-Krieg essentiellen Artilleriegranaten. Die EU produziert vom Kaliber 155 mm rund 1 Mill. Stück pro Jahr. Die EU-Kommission erwartet, dass es bis Ende 2025 rund 2 Millionen Stück sein sollen, was das Kiel-Institut aber für unrealistisch hält. Nato-Kommandeur und US-General Christopher Cavoli schätzt, dass Russland pro Jahr 3,5 Millionen Stück des Kalibers 152 mm fertigt, wobei laut Kiel-Institut aber Nordkorea pro Jahr 6 Millionen Stück an Russland liefern könnte.

Institut gegen Kriegswirtschaft

Wie lässt sich die aus Sicht der Bundesregierung wenig erfreuliche Situation verbessern? Eine Gesetzgebung nach amerikanischen Vorbild, gemäß der der Staat direkt in die Entscheidungen der Rüstungskonzerne eingreifen könnte, was auf eine „Kriegswirtschaft“ hinauslaufe, lehnt das Kiel-Institut ab. Es bleibt bei konventionellen Vorschlägen wie eine Entbürokratisierung der Prozesse bei der Bestellung von Rüstungsgütern, noch mehr Geld und eine Umschichtung innerhalb des Bundeshaushalts zugunsten von Rüstung und der vagen Hoffnung, dass sich mit größeren Stückzahlen Skaleneffekte ergeben und die Preise sinken. Dem stehen jedoch die Interessen der Rüstungsunternehmen und ihrer Aktionäre entgegen, die nicht auf Maximierung der Produktionsmenge, sondern auf Maximierung des Gewinns setzen.

Und noch etwas: Der Staat müsse die Regeln an den Kapitalmärkten umschreiben, was deshalb erforderlich sei, weil immer mehr Geld zu ESG-Zwecken (Environmental, Social, Governance) investiert werde, was den Bereich Rüstung ausschließt.

Dass all diese Maßnahmen, sofern sie überhaupt umgesetzt werden, ausreichen, um Europas Aufrüstung zu bewerkstelligen, ist jedoch noch völlig offen.


Hier finden Sie alle Beiträge der Jahresschlussausgabe 2024.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.