Amerikas Benchmarks vor unruhigem Jahr
Amerikas Aktien-Benchmarks vor turbulenter Phase
Zweifel an KI-Strategien der Tech-Riesen wachsen – Furcht vor Konzentrationsrisiken im S&P 500 nimmt wieder zu – Gefälle zum Dow im Fokus
xaw New York
Amerikas Tech-Riesen kurbeln auch nach dem Debakel um das chinesische Startup DeepSeek ihre KI-Investitionen an. Das verstärkt Sorgen von Beobachtern an der Wall Street, die ohnehin vor Konzentrationsrisiken am US-Markt warnen. Nun rückt überdies das Gefälle zwischen S&P 500 und Dow Jones in den Fokus.
Nach einem wilden Auftakt stellen sich Wall-Street-Insider zunehmend auf ein unruhiges Jahr ein. Denn die laufende Berichtssaison liefert Investoren neuen Anlass, an der Nachhaltigkeit der Rally zu zweifeln, die den S&P 500 in den vergangenen beiden Jahren von Rekord zu Rekord geführt hat. Neben politischem Tumult in Washington rufen gerade die Ausgabenpläne der Technologieriesen einmal mehr Sorgen wach.
Denn das Silicon Valley hat Anlegern zuletzt deutlich gemacht, dass der Kampf um die Vormachtstellung bei künstlicher Intelligenz (KI) gerade erst losgeht. Allein Alphabet, Microsoft und Meta Platforms haben im Rahmen ihrer jüngsten Zahlenvorlagen für das aktuelle Geschäftsjahr Investitionsausgaben von mindestens 215 Mrd. Dollar in Aussicht gestellt. Gegenüber 2024 würde dies einen Anstieg um 45% bedeuten. Amazon hat zwar keine präzise Prognose vorgelegt, aber zuletzt angedeutet, dass die Kapitalaufwendungen über alle Geschäftsbereiche 2025 bei über 100 Mrd. Dollar liegen könnten.
Fokus zu einseitig?
Die Wall Street hatte sich bereits im Verlauf des vergangenen Jahres zunehmend besorgter gezeigt, dass der Fokus der Technologieriesen auf generative, lernfähige Algorithmen zu einseitig ausfällt. Eine der großen Ängste: Je größer die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Chips würden, auf denen KI-Datenzentren und das Training großer Sprachmodelle aufsetzen, desto stärker nehme der Grenznutzen der Investitionsausgaben ab.
Börsenliebling Nvidia vermarktet derzeit beispielsweise seine Halbleiterplattform Blackwell – auf dieser basierende Chips sind hochkomplex aufgebaut. Die Zusammensetzung des Gemischs aus Silikon, Metall und Plastik muss vollkommen reibungslos ablaufen, der Defekt eines einzelnen Teils kann den ganzen 40.000-Dollar-Chip unbrauchbar machen und die viel beachtete Produktionsrendite schwer belasten.
Fragile Rally
Das chinesische Startup DeepSeek verschärfte Zweifel an der Sinnhaftigkeit der KI-Aufwendungen des Silicon Valley zuletzt noch. Das Unternehmen hatte seinen GPT-4-Rivalen „R1“ erst zu Jahresbeginn lanciert, seine Performance kann laut Mitteilung von DeepSeek allerdings bereits mit jener führender Modelle der Tech-Schmiede OpenAI mithalten – und das, obwohl den Chinesen aufgrund von US-Ausfuhrkontrollen weitaus weniger fortschrittliche Chips zur Verfügung stehen und sie angeblich einen Bruchteil der Mittel investiert haben, die US-Konkurrenten in ihre Anwendungen gesteckt haben.
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Im Zuge des folgenden Kursrutschs an den globalen Märkten büßte Nvidia binnen eines Handelstages 500 Mrd. Dollar an Marktkapitalisierung ein und führte Anlegern dabei vor Augen, wie fragil die Rally der vergangenen beiden Jahre ist. In einem Umfeld, in dem Washington unter Präsident Donald Trump einen deutlich aggressiveren handelspolitischen Kurs verfolgt, gilt dies umso mehr. Schließlich befürchten Ökonomen um David Page, Leiter des Makro-Research von Axa Investment Managers, dass Zoll-Konflikte mit China, Kanada und Mexiko sowie der Europäischen Union das amerikanische Wirtschaftswachstum ausbremsen, die inländische Inflation antreiben und damit den Spielraum der Federal Reserve für weitere Zinssenkungen verringern.
Handelsspannungen drohen
Zuletzt reagierten die Anleger zwar noch gelassen auf Trumps Ankündigungen hinsichtlich reziproker Zölle gegen US-Handelspartner. Dabei setzt sich laut Analysten derzeit die Ansicht durch, dass der Präsident solche Drohungen lediglich als Verhandlungstaktik nutzt und sich in den kommenden Wochen noch umstimmen lassen dürfte. Doch der Makro-Dienst Capital Economics geht davon aus, dass die Vereinigten Staaten ihre Einfuhrzölle durchaus stark anheben und damit sowohl den Bond- als auch den Aktienmarkt noch unter Druck setzen werden.
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Die Handelsspannungen betreffen auch die Tech-Riesen, die entweder wie Apple direkt unter Vergeltungsmaßnahmen im einstigen Wachstumsmarkt China leiden oder wie Microsoft, Alphabet und Amazon indirekt unter einer KI-Gegenoffensive aus dem Reich der Mitte. Welche Auswirkungen die hohe Konzentration des Markts auf ihre Aktien hat, wird indes insbesondere am Performance-Abstand zwischen dem S&P 500 und dem Dow Jones Industrial Average deutlich.
Indexkommitee entscheidet
Während die breite Blue-Chip-Benchmark nach Marktkapitalisierung der enthaltenen Werte gewichtet ist, stellt sich zweitgenannter Index nach einem Kursmechanismus auf. Heißt: Zu je höheren Niveaus eine Aktie notiert, desto mehr Gewicht nimmt sie auch im Dow ein. Die Methode stammt aus einer Zeit, in der Computer noch nicht das Börsengeschehen dominierten und an den führenden Handelsplätzen weit weniger Unternehmen gelistet waren als heute – damals war es schlicht einfacher, einen preisgewichteten Index zu kalkulieren.
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Doch der Dow berechnet sich auch heute noch nach diesem Mechanismus und soll zugleich nicht nur die größten Unternehmen beinhalten, sondern auch möglichst die US-Wirtschaft als Ganzes abbilden. Die Zusammensetzung erfolgt also nicht nach festgelegten Regeln, sondern durch ein Indexkomitee, dessen Entscheidungen an der Wall Street schon häufiger Kritik hervorgerufen haben – zum Beispiel, als Microsoft und Intel kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase Aufnahme fanden.
Besser gegen Sell-off gerüstet
Dies führt dazu, dass die Aktien der Investmentbank Goldman Sachs, des Versicherers United Health, des Baumaschinenherstellers Caterpillar, des Farb- und Beschichtungsproduzenten Sherwin-Williams und der Baumarktkette Home Depot im Index gemeinsam ein Gewicht von 32% einnehmen. Im S&P 500 kommen sie auf lediglich 2,6%, dafür ist dieser deutlich stärker von Tech-Werten dominiert: Die „Magnificent Seven“ kommen in der marktbreiten Benchmark auf einen Anteil von nahezu einem Drittel, im Dow erreichen Microsoft, Amazon, Apple und Nvidia gemeinsam weniger als 14% – Alphabet, Tesla und Meta Platforms fehlen ganz.
Das führt dazu, dass sich der zweitälteste US-Aktienindex bisher deutlich besser gegen einen Sell-off bei hoch bewerteten Tech-Werten gerüstet zeigt als der S&P 500. Während letztgenannter Index im Zuge des DeepSeek-Debakels unter Druck geriet, legte der Dow am Tag des schwersten Big-Tech-Abverkaufs Ende Januar sogar moderat zu.
Vernachlässigter Dow
Umso mehr Performance hat ihn die mangelnde Präsenz der Magnificent Seven allerdings zuvor gekostet. In den vergangenen beiden Jahren hinkte er dem S&P 500 um mehr als 10,5 bzw. über 10,4 Prozentpunkte hinterher. Seit Einführung des breiteren Barometers im Jahr 1957 war der Dow laut dem Datenanbieter LSEG relativ gesehen nur zweimal ähnlich schwach: In den Jahren 1980 und 1998, jeweils also in Zeiten großer makroökonomischer Verwerfungen. Zuletzt sind die Abweichungen zudem frequenter geworden: In den abgelaufenen 67 Jahren legte eine der beiden Benchmarks im Mittel an einem von zehn Handelstagen zu, während die andere fiel. Heute geschieht dies durchschnittlich alle vier Tage, also häufiger als während des Großen Bondmassakers 1994 oder der Dotcom-Krise.
Theoretisch bietet das Blue-Chip-Segment des US-Aktienmarktes also größere Diversifikationsmöglichkeiten als vielerorts angenommen. Doch vernachlässigen institutionelle Investoren den Dow trotz seiner hohen medialen Präsenz zumeist, der S&P 500 ist als Grundlage von Indexfonds aufgrund seiner vermeintlich stärkeren Marktbreite weitaus beliebter – neuerliche Verwerfungen im Tech-Segment drohen breite Anlegerschichten damit umso härter zu treffen.