InterviewStefan Duderstedt, Merck Finck

„Trump würde sich ins eigene Bein schießen und das weiß er auch“

Stefan Duderstedt, Anlagestratege bei Merck Finck, erklärt im Interview der Börsen-Zeitung, warum europäische Aktien ihre US-Pendants in diesem Jahr ausstechen und welche Sektoren nun besonders profitieren könnten. Bei Rüstung will er die USA nicht ganz abschreiben.

„Trump würde sich ins eigene Bein schießen und das weiß er auch“

Im Interview: Stefan Duderstedt

„Trump würde sich ins eigene Bein schießen“

Merck-Finck-Experte sieht gute Chancen für europäische Aktien – Rüstung weiter mit viel Potenzial – KI bleibt Zukunftsthema

Stefan Duderstedt, Anlagestratege bei Merck Finck, erklärt im Interview der Börsen-Zeitung, warum europäische Aktien ihre US-Pendants in diesem Jahr ausstechen und welche Sektoren nun besonders profitieren könnten. Bei Rüstung will er die USA nicht ganz abschreiben und auch KI bleibt für den Experten ein Thema.

Herr Duderstedt, die europäischen Aktienmärkte und hier besonders Dax und MDax laufen ihren US-Pendants in diesem Jahr den Rang ab. Was sind die Gründe dafür?

Mitte März war es sogar so, dass sich die Aktienmärkte diametral auseinanderentwickelt haben. In den USA sehen wir eine negative Performance. Der S&P 500 stand zuletzt 4% im Minus. Dagegen ist der Dax mit einem Plus von 17% seit Jahresbeginn gut gelaufen. Das ist schon ein Phänomen.

Wie erklären Sie sich das?

Man muss auf beide Seiten gucken. In den USA hatten wir zuvor die sogenannten Trump-Trades. Vor und rund um die Wahl hat Trump viele Vorschusslorbeeren bekommen. Das waren Hoffnungen, die in seine Pro-Business- und Pro-Amerika-Politik gesetzt wurden. Das wird jetzt durch die Realität ein Stück weit wieder ausgebremst. Jetzt sieht man, dass die Zölle eben nicht in allen Fällen nur ein Druckmittel waren, sondern zumindest erstmal wirklich kommen. Trumps Politik ist sehr erratisch, die Unsicherheiten sind gestiegen. Dazu kommen jetzt die US-Wirtschaftsindikatoren, bei denen man so langsam erste Bremsspuren sieht, beim Konsum wie in der Industrie. Und dann kommt nach einer sehr langen guten Börsenzeit irgendwann der Punkt, an dem Gewinne mitgenommen werden.

Und in Europa?

In Europa ist das anstehende riesige Investitionsprogramm in Deutschland die Story, die die Marktteilnehmer jetzt bewegt, allen voran natürlich in Deutschland. Aber beim Thema Verteidigung ist schon zu erwarten, dass auch andere europäische Länder entsprechend Geld in die Hand nehmen werden. Ich denke, das Thema wird uns auch in der nächsten Zeit noch sehr stark beschäftigen. Und daher kommt die Kursfantasie. Die Börse verarbeitet solche Veränderungen immer sehr schnell und manchmal auch mit starken Ausschlägen.

Haben diese Konjunkturpläne das Potenzial, den kranken Mann Europas wieder gesund zu machen?

Diese Formulierung wird mittlerweile leider gern für Deutschland benutzt. Wenn man sich die Staatsverschuldungsquote Deutschlands ansieht, liegen die Staatsschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt bei rund 64%. Die G7-Länder haben, ohne das sehr hoch verschuldete Japan, einen Durchschnitt, der etwas über 100 liegt. Das, was wir jetzt in Deutschland machen, ist ein riesiger Betrag, aber es führt nicht zu einer völligen Überschuldung. Wir nutzen jetzt den Spielraum, den wir haben und kommen damit noch nicht mal ganz an den Durchschnitt heran. Selbst nach der Billion Neuverschuldung werden wir noch den besten Quotienten unter den G7-Ländern haben. Dieses staatliche Investitionsprogramm ist unter dem Strich ein Konjunkturprogramm. Das Geld wird investiert werden und das wird natürlich wirtschaftsunterstützende Effekte haben. Wichtig ist, dass auch Reformen stattfinden und es nicht einfach weitergeht wie bisher, sondern dass man die europäischen und auch die deutschen Probleme jetzt angeht. Stichwort: Bürokratie, Deregulierung etc. Also die strukturellen Themen, die uns heute oft im Wachstum behindern.

Entbürokratisierung und Deregulierung hat, soweit ich mich erinnere, so ziemlich jede der letzten Regierungen versprochen. Dabei ist am Ende nie viel rausgekommen. Glauben Sie, dass das nun wirklich umgesetzt wird, wenn der finanzielle Druck nicht mehr da ist?

Eine Glaskugel hat natürlich keiner. Aber wir spüren schon in der politischen Diskussion, dass es einen gewissen Druck gibt, es jetzt anzugehen. Ich gebe Ihnen aber recht, dass der Fokus der Politik kurzfristig natürlich zunächst mal woanders liegen könnte. An dem, was die Grünen jetzt durchgebracht haben, nämlich 100 Mrd. aus den 500 Mrd. des Infrastrukturprogrammes für Umweltziele zu verwenden, sieht man, dass verschiedene Interessen durchaus umgesetzt werden können, wenn der Handlungsdruck groß genug ist. Wenn man die Investitionen mit strukturellen Reformen kombiniert, wäre der Effekt am größten und vor allem nachhaltiger wirksam. Natürlich würde auch die große Geldspritze allein kurzfristig konjunkturfördernd sein. Viele Analysten sehen das bereits genau so, wie deren Gewinnschätzungen für europäische Unternehmen zeigen. Diese Kurve, die lange vor sich hindümpelte oder sogar leicht gefallen ist, beginnt sich jetzt nach oben zu drehen.

Welche Branchen sehen Sie neben Rüstung denn als die größten Profiteure dieser Pakete?

Um das zu beantworten, kann man entlang der Wertschöpfungskette denken. Es gibt zwei Themen, die jetzt adressiert werden sollen. Das eine ist Rüstung und das andere Infrastruktur. Im jeweiligen Sektor tätige Unternehmen, aber auch Zulieferer dürften profitieren − also Branchen wie Industrie, Grundstoffe, Bauwirtschaft und andere Zykliker. Das ist ein gigantisches Konjunkturpaket, sodass es in der zweiten Ableitung dann auch zu sogenannten Überwälzungseffekten kommen kann. Über den Arbeitsmarkt kommt das Wachstum verzögert auch bei uns Konsumenten an, was in einer zweiten Welle dann beispielsweise den diskretionären Konsumsektor, also z.B. Luxusgüterhersteller begünstigt.    

Wie sehen Sie den Rüstungssektor?

Das europäische Rüstungsprogramm, das da gerade entsteht, folgt einem ambitionierten Zeitplan und soll idealerweise bis 2030 abgeschlossen sein. Man will bis dahin gemeinsam verteidigungsfähig sein. Es existieren militärische Fähigkeitslücken, die jetzt geschlossen werden müssen. Das sind mindestens fünf Jahre, in denen hohe Investitionen fließen werden. Europa hat sehr lange stark auf die Amerikaner vertraut und die eigenen militärischen Fähigkeiten vernachlässigt. In Deutschland haben wir eine kaputtgesparte Bundeswehr. Und wir haben kaum ein europäisches Verteidigungskonzept, was bei den kommenden Investitionen sicher eine Rolle spielen wird. Mit der bloßen Anschaffung einiger Panzer ist es nicht getan, es wird eher darum gehen müssen, dass man als Europa eine ernst zu nehmende militärische Kraft wird. Deswegen glaube ich, dass man die Zeit brauchen wird, um das konzeptionell vernünftig aufzustellen. Der politische Wille dafür ist da, das war lange nicht der Fall. Das ist die Zeitenwende in diesem Bereich. Die Europäer, vor allem Nordeuropa, sind aufgewacht.

Spüren Sie auch von Anlegerseite ein stärkeres Interesse an Rüstung? Die galt ja lange als anrüchig.

Rüstung war lange ein No-Go, wird aber langsam salonfähig. Die sinkende Verlässlichkeit der USA als Bündnispartner und die dadurch notwendige eigene Verteidigungsfähigkeit und auch das Stichwort „Verteidigung der Demokratie“ haben das bewirkt. Es ändern sich gerade die Haltung vieler Investoren und eben auch die Erfordernisse. In unseren Kundengesprächen erleben wir diesen Wandel täglich, die Öffnung einerseits, aber auf der anderen Seite auch oft Menschen, die sagen, „damit will ich nichts zu tun haben, keinen Cent in Rüstung investieren!"

Was passiert mit der Rüstungsbranche, wenn es in der Ukraine tatsächlich zu einem Friedensschluss kommen sollte?

Das ist eine Frage, die sich jetzt natürlich viele stellen: Ist es dann vorbei mit der Kursrally? Vor allem auch, wer profitiert vom Wiederaufbau?  Ich glaube, dass das sehr stark davon abhängen wird, wie so ein Frieden aussieht. Vielleicht anders, als man sich das lange gewünscht hat. Was passiert mit den annektierten Gebieten? Wenn die an Russland gehen, wird da vermutlich kaum ein westliches Unternehmen wiederaufbauen. In dem Szenario wäre der Impact eher gering. Aber wenn der Westen in den Wiederaufbau involviert ist, kann das durchaus ein weiterer Kurstreiber für Aktien sein. Auch ist vorstellbar, dass es europäische Unterstützung und Hilfsprogramme geben wird. Aber das ist leider noch Zukunftsmusik. Was Rüstung angeht, könnte ein Friedensschluss schon etwas Luft aus dem extrem gut gelaufenen Sektor lassen. Das sehen wir dann aber eher als Kaufgelegenheit, wenn man sich denn in dem Sektor engagieren möchte.

Bleiben wir noch kurz beim Thema Rüstung: US-Rüstungsunternehmen konnten zuletzt lange nicht so stark zulegen wie die Europäer. Dahinter steckt die Frage: Wie zuverlässig sind US-Rüstungsgüter noch? Könnte Trump die F-35 einfach mal eben abstellen?

Das ist eine gute Frage. Und damit sind wir wieder beim Thema Unsicherheit. Die jüngste Vergangenheit zeigt, dass man nicht einschätzen kann, was als Nächstes kommt. Aber Trump ist Geschäftsmann und der globale Rüstungsmarkt wird sehr stark von den USA dominiert. Die Amerikaner haben einen Weltmarktanteil von 50%. Ich denke daher, dass wir nicht darum herumkommen werden, auch Aufträge in die USA zu geben. Wenn Trump sagen würde, „jetzt kriegt ihr aber dieses oder jenes Waffensystem nicht“,  würde er sich ins eigene Bein schießen, und das weiß er auch.

Sprechen wir zum Schluss noch über eine andere Branche: Big Tech und KI haben lange die Aktienmärkte angetrieben. Wie sehen Sie den Sektor heute?

Bei dem Hype, den wir beim Thema KI bisher hatten, ging es hauptsächlich um Prozessoren, also um Rechenleistung und um die Speicherung der riesigen Datenmengen. Der Hype hat zu einer gehörigen Ausweitung von Bewertungen bei den Magnificent Seven und Unternehmen in ihrem Dunstkreis geführt. Wir sind immer noch investiert, haben aber bereits 2024 begonnen, bei Tech-Aktien regelmäßig Gewinne mitzunehmen.

Ins Jahr 2025 sind wir mit einer leicht reduzierten Technologiegewichtung gegangen und das war ja auch gut so! Zum Jahresende hatte sich der Fokus an den Börsen aus den genannten Gründen auf Europa gedreht. Gleich im Januar kam zusätzlich das chinesische KI-Unternehmen DeepSeek mit einem Schock für die US-Techunternehmen auf die Bühne: KI geht auch günstiger und trotzdem gut. Ein eigentlich normaler technologischer Fortschritt auf der KI-Reise, allerdings kam das eben diesmal aus China. Unter dem Strich sorgt diese Disruption natürlich trotzdem dafür, dass sich die Technologie weiterentwickelt − langfristig ist das positiv für den Sektor.

Und wie geht es nun weiter?

KI ist ein Strukturwandel. Der letzte Strukturwandel, den wir hatten, war das Internet. Die Kategorie Strukturwandel heißt, KI hat das Potenzial, wirklich die Welt zu verändern und neue Möglichkeiten zu schaffen. Wenn der aktuelle Aufmerksamkeitsfokus der Märkte wie jetzt mal auf ein anderes Thema geht, wird KI trotzdem das Potenzial behalten, die Effizienz und die Produktivität zu steigern. Wir werden ganz neue Produkte sehen.

Wie kann man sich das vorstellen?

Das mobile Internet ist hierfür ein schönes Beispiel. Schauen Sie, mit welcher Selbstverständlichkeit man heute sein Smartphone nutzt. Ich habe mein erstes Handy in den 90er Jahren gekauft, das hatte so ein kleines Streifendisplay, da konnte man eine SMS verschicken und das war's. Als das erste Telefon mit mobilem Internet rauskam, da hat man sich gefragt: Was soll ich denn damit? Es gab einen Wetterbericht und noch zwei andere Anwendungen. Keinen Content, man konnte sich nicht vorstellen, was man damit machen soll. Erst mit dem Smartphone wurde es wirklich interessant. Jetzt folgte der Content und man konnte damit arbeiten. Heute ist das völlig normal. Sowas kann man sich auch bei KI vorstellen. Ein struktureller Wandel, der nicht aufzuhalten ist.

Also auch weiter ein gutes Investment?

Wir glauben, dass sich die Wachstumsgeschwindigeit wie immer im Laufe der Zeit natürlich ein Stück weit abschwächen wird. Nach dem Hype in der Prozessortechnik und in der Datenspeicherung, um KI erstmal möglich zu machen, geht es jetzt um die Anwendungen, und zwar sowohl bei Unternehmen wie auch im Konsumbereich. Die Frage ist: Wie kann ich mit KI mein Business profitabler machen? Wie kann ich mir einen Wettbewerbsvorteil sichern oder einen erzielen? Wer das jetzt verpasst, für den könnte es auch mal eng werden. Denken Sie zum Beispiel an Kodak. Die haben damals die Digitalisierung verweigert und waren ein paar Jahre später pleite. Wenn ich ein Unternehmen habe, dann ist es jetzt an der Zeit, darüber nachzudenken, ob ich Produktionsabläufe oder Prozesse auch mit KI hinterlegen muss. Das sind jetzt wichtige Entscheidungen. Und irgendwann kommt das dann auch im Konsumbereich an. Dann wird es Anwendungen geben, die es heute noch nicht gibt.

Als Investor muss man diese Story jetzt ein bisschen weiterdenken und sich fragen, welche Unternehmen von den Anwendungen und Entwicklungen auf KI-Basis profitieren. Ich glaube, dass es in Zukunft mehr darum gehen wird, als um noch einen besseren Nvidia-Chip oder die nächste Cloud-Idee. Klar ist, KI ist nicht totzukriegen und wird zurückkommen. Die Frage ist halt, wann.

Zur Person: Seit Juli 2023 verantwortet Stefan Duderstedt den Bereich Investment & Client Solutions bei Merck Finck und ist als Managing Director Mitglied der Country Management Committees Deutschland. Duderstedt ist CFA Charterholder und seit über 22 Jahren für die Bank tätig.

Das Interview führte Tobias Möllers. Das Interview in vollständiger Länge lesen Sie auf boersen-zeitung.de

Das Interview führte Tobias Möllers. Das vollständige Interview lesen Sie auf boersen-zeitung.de

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