„Krypto eignet sich hervorragend zur Diversifikation“
Alex Wehnert.
Herr Bauke, Herr Marcu, im laufenden Jahr ist die Korrelation zwischen der Kursentwicklung von Bitcoin und der Performance an den Aktienmärkten stark gestiegen. Was bedeutet dies kurz- bis mittelfristig für das Interesse an Cyberdevisen?
Bauke: Das ist kein neues Phänomen, bei einschneidenden Ereignissen wie dem Krieg in der Ukraine und der aktuellen geldpolitischen Wende steigt die Korrelation zwischen allen Anlageklassen sehr stark. Über die vergangenen Jahrzehnte hat sich gezeigt, dass selbst vermeintlich sichere Häfen wie Gold in solchen Korrekturphasen keinerlei Diversifikationseffekt gebracht haben. Wie lange dies im derzeitigen Umfeld anhält, können wir nicht beurteilen, wir sind aber ohnehin langfristig an Kryptowährungen interessiert. Blockchain-Lösungen und damit verbundene Cyberdevisen besitzen unserer Ansicht nach das Potenzial, das Finanzsystem und die gesamte Wirtschaft nachhaltig zu verändern.
Marcu: Generell sind Korrelationen nicht stabil. Dass die Kursentwicklungen von Kryptowährungen jenen in traditionellen Assetklassen stärker ähneln, je mehr institutionelle Investoren in das Segment investieren, liegt auf der Hand. Denn diese müssen eben Margin Calls bedienen oder Verluste bei anderen Anlagen ausgleichen und veräußern dann häufig zuerst Risiko-Assets. Über eine zu starke Gleichläufigkeit zwischen Cyberdevisen und dem breiten Markt müssen sich Investoren aber wohl erst in fünf bis sieben Jahren Gedanken machen. Noch ist die Korrelation sehr niedrig, wodurch sich Kryptowährungen immer noch hervorragend zur Diversifikation eignen.
Welche Möglichkeiten abseits reiner Long-Strategien bieten sich an, um am Wachstum der Kryptowelt zu partizipieren?
Marcu: Da haben Investoren diverse Optionen, unter anderem durch Borrowing- und Lending-Mechanismen. Das hat dann mit reinen Long- oder Short-Positionen, durch die man sich von breiten Marktbewegungen abhängig macht, nichts zu tun. Innerhalb unserer DeFi-Income-Strategie betreiben wir Automated Marketmaking, bei dem wir dem Markt lediglich Liquidität für Handelsgeschäfte zur Verfügung stellen und dafür entlohnt werden.
Wie genau funktioniert diese Strategie?
Marcu: Im dezentralen Handelsbereich (DeFi), der starke Wachstumsraten verzeichnet und derzeit ungefähr 7% des Krypto-Marktvolumens ausmacht, gibt es einen Mechanismus, über den Investoren beispielsweise Bitcoin gegen Ether oder eine Vielzahl anderer digitaler Währungspaare gegeneinander tauschen können. Damit das funktioniert, muss die Liquidität des Marktes gewährleistet sein. Dafür teilt das Protokoll die bei digitalen Transaktionen anfallenden Gebühren mit denjenigen, die benötigte Assets ins System einbringen. Das funktioniert automatisch zwischen dem Blockchain-Protokoll und der Partei, die Liquidität bereitstellt, also beispielsweise wir mit dem Zertifikat auf unsere DeFi-Income-Strategie. Ein Intermediär wird obsolet.
Bauke: Wir konzentrieren uns dabei auf Stablecoins, also Kryptowährungen, die an Basiswerte wie den Dollar gekoppelt sind. Der Vorteil besteht darin, dass unser eingebrachtes Kapital wertstabil bleibt, wir also nicht an Preisschwankungen innerhalb des Kryptomarktes gebunden sind. Somit können wir die Gebühren für die Liquidität, die wir bereitstellen, vereinnahmen und an unsere Anleger weitergeben.
Im Stablecoin-Segment ist Tether dominant, doch um die Digitalwährung gibt es kontroverse Diskussionen. So zweifeln Skeptiker daran, dass Tether wirklich durch die Dollar-Reserven des Emittenten gedeckt ist…
Bauke: Wir sind uns des Risikos bewusst und prüfen die Audits jedes Stablecoin-Emittenten, mit dem wir direkt oder indirekt interagieren. Obwohl Tether heute die größte Schnittstelle zwischen den einzelnen Kryptowährungen ist, ist dieser Stablecoin mit einem Anteil von knapp 10% in unserem Produkt deutlich untergewichtet. Sollten sich die Gerüchte über Tether bewahrheiten, wovon wir nicht ausgehen, wäre das natürlich problematisch. Der Effekt wäre aber nur kurzfristig, da sich die Transaktionen in der Folge einfach über andere Stablecoins verteilen würden. Wir sehen bereits jetzt, dass Varianten wie USDC oder Binance USD an Bedeutung gewinnen.
Marcu: Tether hat sich mit den US-Regulatoren vor einem Jahr auf eine vergleichsweise milde Strafe geeinigt. Denn in der Vergangenheit hatte der Emittent behauptet, sein Stablecoin sei zu 100% durch Dollar gedeckt, im Nachhinein stellte sich allerdings heraus, dass die Deckung nicht nur Cash-Reserven, sondern auch Commercial Papers und andere Papiere beinhaltete. Aus meiner Sicht stellt die Einigung einen starken Hinweis darauf dar, dass die Regulatoren es aufgegeben haben, die Angelegenheit zu verfolgen. Nichtsdestotrotz ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein systematisches Risiko entstehen kann, weil Tether unreguliert ist.
Würde denn die Einführung von digitalem Zentralbankgeld durch die EZB oder die Federal Reserve das Segment stabilisieren?
Marcu: Rein optisch wäre das erstmal gegeben. Allerdings stellt sich durchaus die Frage, ob die in den vergangenen Jahrzehnten erfolgten Interventionen der Zentralbanken an den Märkten tatsächlich zu einer stabileren Entwicklung des gesamten Wirtschaftssystems beigetragen haben. Das ist aus meiner Sicht nicht so eindeutig zu beantworten, und ob Zentralbanken künftig mit Adaptionen von Krypto auf das alte Fiat-System wirklich einen stabilisierenden Effekt erzielen, darf durchaus in Zweifel gezogen werden.
Bauke: Die Notenbanken wissen vermutlich selbst noch nicht genau, wie sie sich dem Markt annähern sollen. Stablecoins funktionieren grob gesagt ja wie ein Goldfonds. Genau wie zum Beispiel die Deutsche Börse Gold nachkaufen bzw. verkaufen muss, wenn Anleger Xetra Gold erwerben oder abstoßen, müssen auch Stablecoin-Emittenten stündlich und täglich mit dem Basiswert ihrer Digitalwährung handeln. Wenn sich die Notenbanken jetzt in Bezug auf eigene digitale Zentralbankwährungen ähnlich verhalten und dem Markt dann Fiat-Liquidität entziehen, würden sich die Devisenkurse ja vom Basiswert lösen. Wir glauben eher an das dezentrale Grundprinzip der Blockchain, das zu einer Selbstregulierung des Marktes führt.
Wird der Dollar den Stablecoin-Markt denn weiterhin dominieren oder sind andere Basiswerte künftig interessanter?
Marcu: Es existieren ja schon Stablecoins auf Euro-Basis. In den kommenden Jahren wird sich der Anteil der verschiedenen Basiswerte vermutlich analog zur Fiatwelt entwickeln. Letztendlich sind Stablecoins aber nur ein Hilfsmittel, um Preisrisiken volatiler Kryptowährungen zu neutralisieren und um nicht unnötig zwischen der Krypto- und der Fiatwelt hin- und herwechseln zu müssen. Während Stablecoins für uns also große Renditechancen bringen, sollten sich Investoren insbesondere des Potenzials der Blockchain-Technologie dahinter bewusst werden.
Unterdessen ziehen die Regulierungsbemühungen in Bezug auf Kryptowährungen in vielen Ländern an. Welche Folgen hat das für das Segment?
Bauke: Distributed-Ledger-Technologien sind hinsichtlich der Innovationschancen, die in ihnen stecken, mit dem Internet vergleichbar. Staaten mit Kapitalkontrollen wie China, die sich des Potenzials von internationalen, dezentralen Blockchain-Lösungen verschließen, werden langfristig stark darunter leiden oder eine Kehrtwende hinlegen. Denn die Welt und der Wettbewerb zwischen den geopolitischen Zentren ist zu groß, als dass sich Innovationen dieser Bedeutung aufhalten ließen. Für Europa birgt die Blockchain-Revolution dagegen die Möglichkeit, global eine Führungsrolle einzunehmen. Zugleich sieht man, dass die US-Regulatoren und auch die großen Investmentbanken sich gegenüber der Kryptowelt wesentlich positiver positionieren, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war.
In den USA wird die Regulierung indes durch die Vielzahl an Aufsichtsbehörden mit überlappenden Kompetenzen nicht einfacher, in der EU verhält es sich ähnlich. Wie groß ist der resultierende Nachteil gegenüber kleineren Märkten wie der Schweiz?
Bauke: Die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma hat sich dem Blockchain-Thema sehr früh geöffnet. Dabei stellt sie aber immer noch hohe Transparenzansprüche. Um diesen zu genügen, wurden zwei reine Blockchain-basierte, voll lizenzierte Fintech-Banken gegründet, über die sich Investitionen in digitale Assets skalieren lassen. Insofern taugt die Schweiz durchaus als Vorbild für die EU. Wichtig ist eben, dass es keine kollidierenden Kompetenzen zwischen einer europäischen und einer lokalen Regulierung, zum Beispiel durch die BaFin, gibt. Dass die BaFin mit Mark Branson nun einen sehr fortschrittsorientierten Chef hat, der zuvor auch die Regulierung in der Schweiz vorangetrieben hatte, stimmt diesbezüglich optimistisch.
Infolge des Ukraine-Kriegs haben die EU und westliche Verbündete einen gezielten Ausschluss einzelner russischer Finanzinstitute aus dem globalen Zahlungsabwicklungssystem Swift beschlossen. Welches Potenzial bieten Kryptowährungen aus russischer Sicht, solche Sanktionen zu umgehen?
Bauke: Gewissermaßen ist es in der aktuellen Situation wertvoll, dass der technologische Fortschritt in diesem Bereich noch an einer Wachstumshürde strauchelt. Perspektivisch taugen Bitcoin und dezentrale Blockchain-Technologien dazu, Swift abzulösen. Tatsächlich sind wir noch nicht an diesem Punkt angekommen. Obwohl Russland bei Kryptowährungen sehr aktiv ist, dürfte der Swift-Ausschluss die russische Wirtschaft schädigen.
Inwieweit könnte eine stärkere Krypto-Aktivität in Russland das Image von Cyberdevisen in westlichen Demokratien beschädigen?
Marcu: Kryptowährungen bauen ihren Ruf ohnehin erst auf. Ein verstärkte Nutzung von Bitcoin infolge des Ausschlusses Russlands aus dem Swift-System würde dem Image von Cyberdevisen vermutlich kurzfristig etwas schaden. Doch wir sollten uns fragen, ob Währungen die ökonomische Kraft eines Wirtschaftsraumes reflektieren oder ob internationale Leitwährungen als politisches Instrument funktionieren sollen. Ich halte es für vorteilhaft, wenn Geld als reines Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel fungiert, da es den Wirtschaftsfluss verbessert. Daher sollten wir technologische Möglichkeiten nutzen, um Prozesse rund um Zahlungsströme zu optimieren. Dezentrale Technologien entsprechen basisdemokratischen Werten und ein vermeintlicher Kontrollverlust wird durch höhere Transparenz für alle Beteiligten ersetzt.
Für europäische Investoren steht Nachhaltigkeit stärker denn je im Fokus. Inwiefern verhindert die Debatte um den Stromverbrauch des Krypto-Minings eine stärkere Adaption von Digitalwährungen?
Marcu: Die technologische Weiterentwicklung wird dazu führen, dass der Verbrauch extrem sinkt. Die Umstellung des Ethereum-Netzwerks vom Proof-of-Work-Konsensmechanismus auf das weniger energieintensive Proof-of-Stake-Verfahren veranschaulicht die bestehenden Möglichkeiten sehr gut. Zudem forschen Entwickler nach anderen effizienten Methoden zum Betrieb von Blockchains, das ist vergleichbar mit der Forschung rund um Elektroantriebe in der Automobilindustrie.
Bauke: Investoren müssen sich auch vergegenwärtigen, dass Blockchain-Lösungen nicht nur einen hohen Energiebedarf besitzen, sondern große Möglichkeiten bieten, Energie einzusparen. Außerdem gibt es zahlreiche Projekte, die rein auf erneuerbare Energien setzen – so zum Beispiel in Paraguay, wo ein Wasserkraftwerk existiert, das enorme Mengen an günstigem Strom produziert. Rundum haben sich Mining-Farmen angesiedelt. Diese nutzen den überschüssigen Strom und führen Teile des von ihnen generierten Kryptokapitals an die Lokalregierung ab, um einen weiteren Ausbau der Energieinfrastruktur zu ermöglichen.
Das Interview führte