Wahlkampf der Verzagten und Mutlosen
Serie zur Bundestagswahl (Teil 1)
Wahlkampf der Verzagten und Mutlosen
Die Parteien halten sich bei zentralen Problemfeldern auffällig zurück – Statt tiefgreifender Reformen traut man sich nur Reparaturen und Retuschen zu
Angesichts der gewaltigen Standortprobleme sowie der geopolitischen Zeitenwende durch US-Präsident Trump würde man sich mutige Reformvorschläge von den Wahlkämpfern erwarten, um Deutschland wieder auf Wachstums- und Modernisierungskurs zu bringen. Doch der Politik fehlen offenbar die Visionen.
lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt
In Social Media macht gerade ein Meme die Runde, das die unterschiedlichen politischen Ansätze in den USA und in Europa vor Augen führt: Während man sich jenseits des Atlantiks daranmacht, mit privaten Unternehmen den Weltraum zu erobern, und selbst ganze Raketenstufen bei der Rückkehr zur Erde wieder einfangen kann, feiert man in Europa schon die Innovation, dass die Plastikverschlüsse auf den Flaschen nach dem Öffnen nicht wegfallen.
Zuletzt hat auch der neue US-Präsident Donald Trump gezeigt, dass er sich bei Innovationen nicht mit kleinem Karo aufhält: Er will die US-Fahne auf dem Mars aufpflanzen und gibt eine halbe Billion Dollar frei, um bei KI den Ton anzugeben. Europa hingegen scheint zwar stets große Pläne und Programme aufzulegen, doch das Brüsseler Bürokratiemonster lässt davon meist nichts übrig. Wollte man die Gemeinschaft nicht vor einigen Jahren einmal zur wettbewerbsstärksten Region weltweit machen?
Große Pläne ohne Substanz
In Deutschland zeigt sich das gleiche Bild der Verzagtheit und des Versagens: Wie viele Bundesregierungen hatten schon versprochen, den Standort international wieder an die Spitze zu bringen? Stattdessen ist er dramatisch zurückgefallen. Und wie viele Koalitionen hatten sich schon den Bürokratieabbau, die Durchdigitalisierung des Landes und die Modernisierung der Infrastruktur auf die Fahnen geschrieben? In der Regel ist das stets ins Gegenteil umgeschlagen.
Auch im aktuellen Wahlkampf werden die großen Standortthemen allenfalls in aller Unschärfe und Abstraktheit debattiert: Wettbewerbsfähigkeit, Bundeswehr, Demografie und Innovationen. Statt einer großen Sozialreform wollen die Parteien weder am Renteneintrittsalter noch am Rentenniveau drehen. Stattdessen wird zusätzlich eine Mütterrente gefordert. Auch bei den Steuern kein großer Wurf. Die einen wollen – wie immer – Steuersenkungen, die anderen schlicht Steuererhöhungen. Wachstum? Die einen wollen deregulieren und die Rahmenbedingungen verbessern, die anderen mehr Geld in die Hand nehmen – natürlich unter Umgehung oder Reform der Schuldenbremse. Nichts Neues also.
Zudem wird einfach weiter an vorhandenen Strukturen herumgedoktert. In vielem fühlt man sich an einen „Merkel-Wahlkampf“ der asymmetrischen Demobilisierung erinnert: Die wirklich großen Themen werden umgangen aus Sorge, dass sie Kontroversen provozieren. Von einem echten Politikwechsel ist man also weit entfernt.
Kein Mut zur Veränderung
Es fehlt, so scheint es, der Mut zu Veränderungen sowie ein Stück weit die Fähigkeit (oder der Wille?), die Zukunft Deutschlands beschreiben zu wollen und dabei auch ein gewisses Maß an Disruption und Kontroverse zu akzeptieren. Das nehmen die extremen und populistischen Parteien in ihrem Sinne natürlich für sich in Anspruch – durchaus mit Erfolg. Auch Trump war damit ja letztlich erfolgreich.
„Die Politik hat Angst vor den Wählern“, bringt es Ifo-Chef Clemens Fuest auf den Punkt. Viel zu oft würden sich die etablierten Parteien in unbedeutenden Debatten verlieren, statt die drängenden Herausforderungen ehrlich zu benennen und auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen.
Dabei ist der Handlungsdruck so groß wie noch nie: Seit Jahrzehnten wird die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands ausgezehrt und verkümmert die Infrastruktur; zudem sinkt seit 2018 die Wirtschaftsdynamik. Die entscheidenden Innovationen werden längst nicht mehr in Deutschland gemacht, die digitale Souveränität ist längst verloren. USA und China dominieren den Innovationsmarkt. Und die Unternehmen verlieren den Glauben an den Standort. Die Ausrüstungsinvestitionen gingen 2024 um über 5% zurück und liegen nun unter dem Niveau von vor sechs Jahren. Das ist nicht nur auf die schlechten Rahmenbedingungen (u.a. Kosten, Steuern, Infrastruktur, Bürokratie sowie eine diffuse Wirtschafts- und Innovationsfeindlichkeit) zurückzuführen, sondern auch ein Misstrauensvotum in die Fähigkeit der Politik, die richtigen Schlüsse aus der Situation zu ziehen. Denn Zukunftsinvestitionen werden nur dann getätigt, wenn positive Renditen über Jahre hinweg absehbar sind.
Auch die zuletzt eher nachgebenden Umfragewerte der CDU/CSU-Opposition sind Ausdruck der Zweifel, dass eine neue Regierung unter ihrer Führung die wichtigen Themen tatsächlich anpackt. Zurückhaltung und Unschärfe statt Mut zu Wahrheit und Vision. Selbst beim offenkundig vorhandenen Finanzbedarf der Bundeswehr wird zurückgerudert: Mehr als 2% des BIP sind laut Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) nicht drin.
Trump rüttelt wach
Vielleicht rüttelt ja US-Präsident Trump den deutschen Wahlkampf noch wach. Er bedroht mit seiner KI-Initiative die Innovationskraft der Bundesrepublik, die noch sehr in analogen Strukturen verhaftet ist und durch Bürokratie gelähmt wird. Zugleich erschüttert er mit der Androhung von Sonderzöllen das ganze Geschäftsmodell und lockt obendrein erfolgreiche Unternehmen nach Übersee. Wenn darauf die Politik nun erneut stoisch abwartet, wie dies SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz als Ausdruck der Stärke verstanden wissen will, und wenn Merz meint, Trump mit einem handgeschriebenen Brief für sich einnehmen zu können, dann ist dem Standort tatsächlich nicht mehr zu helfen.
In den nächsten Teilen der Serie, die in loser Folge bis zum Wahltag erscheinen, werden die aus Sicht der Börsen-Zeitung wichtigsten Wahlkampfthemen wie Haushalt, Steuern, Energie- und Sozialpolitik sowie Finanzmarkt und Infrastrukturen, Arbeitsmarkt und Unternehmensgründungen, Cybersicherheit/KI und die Überbürokratisierung genauer unter die Lupe genommen.