InterviewUlrich Kater, Chefvolkswirt Dekabank

„Wohlstandsverluste wird es auf jeden Fall geben“

US-Präsident Trump wird zwar „keine goldenen Zeiten“ für die USA einläuten können, aber Deutschland eine Änderung des Geschäftsmodells aufzwingen, sagt Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater im Interview der Börsen-Zeitung.

„Wohlstandsverluste wird es auf jeden Fall geben“

Im Interview: Ulrich Kater

„Wohlstandsverluste wird es auf jeden Fall geben“

US-Präsident Trump wird zwar „keine goldenen Zeiten“ für die USA einläuten können, aber Deutschland eine Änderung des Geschäftsmodells aufzwingen

Die vom designierten US-Präsidenten Trump angedrohen Strafzölle werden die Exportnation Deutschland nicht umwerfen, ist Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, überzeugt. Für den Standort ist aber entscheidender, dass die heimische Wirtschaft durch bessere Rahmenbedingungen wieder wettbewerbsfähig wird.

Herr Kater, im Weißen Haus weht mit US-Präsident Donald Trump künftig ein anderer Wind: mehr Protektionismus und Zölle statt Globalisierung, China gilt als politischer Feind, die Europäer gewissermaßen als wirtschaftlicher Gegner. Seine ökonomischen Ideen sind – gelinde gesagt – unkonventionell und schädlich für die transatlantische Zusammenarbeit. Was ist Ihre größte Sorge in dieser Gemengelage?

Meine größte Sorge ist, dass Europa, den Schuss nicht gehört hat und nicht entsprechend reagiert und handelt. Denn in den USA hat nichts weniger als eine Zeitenwende begonnen: die transatlantischen Beziehungen zerbröseln.

Was treibt Trump dazu?

Er hat darauf reagiert, dass die weltweite Liberalisierung viele Menschen in den USA nicht mitgenommen hat, die zu Opfern der Hyperglobalisierung geworden sind. Das – zusammen mit einigen anderen gesellschaftlichen Trends - hat die Kräfte, wie Trump sie repräsentiert, so stark gemacht, dass es nun in die andere politische Richtung geht: „Globalisierung“ allein nach US-Regeln und zum Vorteil der USA.

Er ist einer, der Debatten am Finanzplatz Frankfurt setzen, strukturieren und formen kann: Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank. Seit 2004 ist er Chefvolkswirt der DekaBank, seit 2006 zudem Beiratsvorsitzender für Wirtschaftsfragen im Verband öffentlicher Banken. Kater lehrt ferner an der Universität Witten-Herdecke bzw. der Zeppelin University Friedrichshafen. Sein Urteil wird geschätzt, er kann Debatten setzen, strukturieren, formen und ihnen einen Spin mitgeben bis ins ferne Berlin. Der Volkswirt studiert in Göttingen Volkswirtschaftslehre, wechselte dann nach Köln, wo er 1995 am finanzwissenschaftlichen Lehrstuhl der Universität Köln promoviert wurde. Von 1995 bis 1999 war er dann im Stab der Wirtschaftsweisen, bis er von der Deka abgeworben wurde.

Wie wirkt sich das ökonomisch aus?

Jede Wirtschaft braucht Rahmenbedingungen, Sicherheit, Regeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die USA viele dieser Regeln bereitgestellt und finanziert. So waren es die Amerikaner, die vorangegangen sind beim Abbau der Zölle, was eine enorme Sogwirkung auf andere Staaten hatte und alle wirtschaftlich prosperieren ließ. Trump weigert sich nun, das öffentliche Gut Sicherheit und Infrastruktur für die Weltwirtschaft weiterhin zu bezahlen. Es gilt „America First“ – auch wenn die bisherige Haltung die USA zur globalen Führungsmacht hat werden lassen. Trump will darüber hinaus die Zollliberalisierung rückgängig machen, weil er erwartet, dass dann Industriearbeitsplätze nach Amerika zurückkehren.

Ich sehe beide Verhandlungspartner durchaus auf Augenhöhe.

Wie gefährlich wird das für Europa? Wie stark wird er der europäischen und deutschen Wirtschaft mit seiner Politik schaden?

Zunächst sehe ich beide Verhandlungspartner durchaus auf Augenhöhe. Allerdings muss Europa vereinigt vorgehen, um die eigenen Interessen zu wahren – vor allem bei Handelsthemen. Da bin ich zuversichtlich, dass das klappt, weil das eine Kernkompetenz der EU ist von Anbeginn an. Die Möglichkeit, ihre eigene wirtschaftliche Macht einzusetzen, verstehen die Europäer durchaus und verfügen auch über Instrumente, um gemeinsam zu agieren. Die große Gefahr liegt in einem eskalierenden Zollkrieg.

Aber Ökonomen warnen unisono vor dramatischen Handelsverlusten.

Natürlich, wenn man den Welthandel zerschneidet, sind die einzelnen Stücke weniger wert als das große Ganze zuvor. In anderen Worten: Wohlstandsverluste wird es in jedem Fall geben. Insbesondere durch die Aufteilung der Produktion: Sie wird künftig hinter den jeweiligen Zollmauern stattfinden. Das bedeutet mehr Fabriken, dafür kleiner. Dadurch gehen Größenvorteile verloren.

Wie beurteilen Sie denn die Verhandlungsmacht Brüssels?

Die Position bei internationalen Verhandlungen ergibt sich aus zwei Elementen. Zum einen ist die Größe des Marktes entscheidend, denn daran hängt ja die Möglichkeit des Landes, auf dem Markt des jeweils anderen Landes Güter abzusetzen. Was diesen Punkt betrifft, stehen Amerikaner und Europäer pari da. Die Märkte sind ähnlich groß. Zum anderen setzen die Europäer mehr auf Exporte als die USA. Das bringt sie zwar etwas in Nachteil, aber insgesamt sind die Dimensionen nicht so weit auseinander. Unterm Strich: Ich sehe diese beiden Verhandlungspartner auf Augenhöhe. Insofern gehe ich davon aus, dass am Ende der Verhandlungen ein Kompromiss herauskommt.

Die europäische Seite sollte Deals mit den USA machen.

Welche verhandlungstechnische Vorgehensweise raten Sie Brüssel?

Die europäische Seite sollte Deals mit den USA machen, etwa dass man bei geringeren Zöllen den USA im Gegenzug höhere Einkäufe von Energie verspricht. Das würde allerdings den Dollar weiter stärken.

Was aber eigentlich nicht im Sinne von Trump sein kann, oder?

Was Trump nicht versteht, ist, dass er ein Leistungsbilanzdefizit akzeptieren muss, weil die USA ein Kapitalimportland sind – auch wegen ihres attraktiven Standorts. Wer Kapital importiert, muss das zwangsläufig hinnehmen. Das ist simple Arithmetik. Trump kann nicht weiter um das Geld aus dem Ausland werben und gleichzeitig eine ausgeglichene Leistungsbilanz haben wollen. Dann wird er den Dollar aufwerten. Ich glaube, das Leistungsbilanzdefizit der USA wird er nicht kurieren können.

Deutschland bekommt möglicherweise eine Änderung seines Geschäftsmodells aufgezwungen.

Und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Exportausrichtung von Deutschland?

Deutschland bekommt möglicherweise eine Änderung des eigenen Geschäftsmodells aufgezwungen. Aber nicht nur, weil Trump Zölle einführt. Sondern weil die deutschen Unternehmen aufgrund von Defiziten bei Technologien und hohen Kosten Marktanteile verlieren. Alle nationalen Regierungen in Europa sind nun aufgefordert, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern und für mehr Wachstum zu sorgen, damit die Gemeinschaft so stabil wie möglich auf eigenen Füßen stehen kann.

Und das genügt schon?

Strafzölle hin oder her: Wenn die deutschen Unternehmen wettbewerbsfähig sind, ergeben sich in dieser großen Welt genügend Absatzmöglichkeiten. Es geht also im Grunde mehr um die Leistungsfähigkeit der deutschen Unternehmen als um protektionistische Tendenzen in der Weltwirtschaft.

Letztlich erzeugen alle konkreten Wahlversprechen von Trump doch mehr Teuerung als bisher. Wie kann er dann sein zentrales Versprechen von niedrigeren Preisen halten?

Zunächst hat Trump schlicht den Effekt ausgenutzt, dass die Menschen noch immer das Gefühl dramatisch steigender Preise haben und einkommensmäßig immer noch im Rückstand sind. Das stimmt teilweise auch, obwohl die Teuerung schon seit längerem zurückgeht. Aber wenn er Zölle anhebt, wird es zunächst eine neue Preiswelle geben; und mit Blick auf die Geldpolitik kommen dann Ketteneffekte ins Spiel. Ich bin gespannt, wie er dann argumentiert.

Inwiefern?

Mächtige Politiker unter Druck müssen sich besondere Geschichten ausdenken. So hat der türkische Staatspräsident Erdogan erzählt, dass niedrige Zinsen gut gegen die Teuerung wirken. Trump könnte aber die Notenbank auch schon früher unter Druck setzen. Hat er damit Erfolg, würde es jedoch nach hinten losgehen, denn die Kapitalmarktzinsen würden steigen. Und die kann er nicht kontrollieren. Für Dezember rechnen wir noch mit einer Reduzierung der Fed Rate um 25 Basispunkte. Aber zunehmend wird sich auf Basis aktueller Teuerungszahlen eine Diskussion entwickeln, ob die Fed eigentlich noch senken sollte.

In den USA dürfte sich Enttäuschung breitmachen, wenn die versprochenen goldenen Zeiten an der grauen Realität zerschellen.

Die Finanzmärkte feiern die Entwicklung noch. Werden sie bald enttäuscht einknicken?

In der Tat, bei aller Verunsicherung ist die ruhige Lage im Finanzsektor ja ein echter Kontrast. Wir haben viele Krisen, aber keine Finanzkrise. Makroökonomisch sind wir eher auf einem Normalisierungskurs. Das weltwirtschaftliche Wachstum ist stetig, die Inflation ist zügiger gesunken als erwartet, die Zinsen sind ebenfalls wieder runtergekommen. Wir sehen keine Überbelastungen, was die private Verschuldung angeht. Und die steigende Staatsverschuldung dürfte erst später negativ durchschlagen. In den USA dürfte sich jedoch mittelfristig schon eine Enttäuschung breitmachen, wenn die versprochenen goldenen Zeiten an der grauen Realität zerschellen.

Wird ihm das Raum geben für radikale Steuersenkungen, wie er das angekündigt hat?

Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die Trump plant, sind unternehmerfreundlich, die angekündigten Steuersenkungen zielen aber nicht auf mehr Wachstum, sondern werden die Unternehmensgewinne steigern. Der Markt hat das quittiert und ist daher positiv gestimmt.

Trump kommt ja auch recht modern rüber, weil er Kryptowährungen breiteren Raum und mehr Anerkennung gewähren will. Was bedeutet das für den Dollar?

Vorstellungen aus dem Trump-Lager gehen sogar weiter bis hin zum Free Banking oder der Zulassung von konkurrierenden Währungen. Das lässt die Krypto- und Bitcoin-Szene natürlich jubeln. Aber ich halte das für spekulativ und nicht umsetzbar, selbst für Herrn Trump.

Wer den Dollar schwächt, sägt den Ast ab, auf dem er als größter Schuldner der Welt sitzt.

Warum?

Die Verschuldungsfähigkeit der USA beruht auf ihrer Fähigkeit, eine Währung zu produzieren, und zwar die einzige Währung, die im US-Staatsgebiet gilt und die obendrein das Privileg hat, auf der Welt verbreitet zu sein. Wenn er damit spielt, das aufzubrechen, und Kryptowährungen einen ähnlichen Status einräumen möchte, senkt das die Verschuldungsfähigkeit des Landes. Wer derart den Dollar schwächt und dessen Status als Weltwährung unterminiert, sägt den Ast ab, auf dem er als größter Schuldner der Welt sitzt.

Sie sprachen davon, dass Deutschland mehr den eigenen Standort verbessern sollte, als sich im Handelsstreit zu verzetteln. Wo sollten hier die Prioritäten liegen?

Was die Hoch- und Höchsttechnologie und deren erste Umsetzung in Marktprodukte angeht, war Deutschland nie stark. Wir sind erfolgreich in Technologie im mittleren Hightech-Bereich. Entsprechend kommt es darauf an, erst einmal wieder im alten Geschäftsmodell stark zu werden, wo wir viel Boden verloren haben. Die Unternehmen müssen also viel investieren und wieder Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft aufbauen. Daher brauchen wir einen Neustart bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die bisherige Regierung hatte das Problem nicht ausreichend ernstgenommen und sich dann in unübersichtlichen Maßnahmen verloren. Hier muss man dringend umsteuern.

Wir brauchen einen Neustart bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland.

Und in welche Richtung sollte das gehen?

Flexibilität für die Unternehmen, ihnen die Möglichkeit geben, investieren zu können, dabei nicht behindert zu werden. Auf Fachkräfte und günstigere Energie zugreifen zu können. Das spricht für eine Agenda-Lösung, weil man viele unterschiedliche politische Maßnahmen organisieren und unter einen Hut bringen muss.

Wie würden Sie die neue Agenda beschreiben?

Die Kommunikation könnte lauten, dass wir verstanden haben, dass der deutschen Wirtschaft der Wind aus allen Richtungen ins Gesicht bläst. Wir wollen nicht mehr beschönigen, sondern im Gegenteil mit höchster Priorität ändern. Das fängt damit an, dass wir uns wieder zum Wirtschaftswachstum bekennen. Nur auf diese Weise sind wir in der Lage, mit Herausforderungen wie Umwelt, Verteidigung oder Wettbewerbsfähigkeit umzugehen. Eine wachstumsstarke Wirtschaft ist die Grundlage dafür. – Wir schaffen die Rahmenbedingungen dafür, den Rest müssen die Unternehmen machen.

Und welche politischen Zöpfe würden Sie abschneiden?

Die Denke, dass der Staat den Fortschritt planen kann. Unsere Forschungsförderung, also Projektförderung und kleinteilige Fördermaßnahmen, gesteuert von einer engmaschigen Bürokratie, ist vergleichsweise wenig erfolgreich.

Aber wenn es was gibt, das die Bevölkerung bei der alten Regierung gut fand, dann, dass sie Förderprogramme aufgelegt und Geld ins System gepumpt hat. Die Deutschen stehen eher skeptisch zu Markt, Wettbewerb und Kapitalismus.

Ja, es gibt in Deutschland traditionell breite Vorbehalte gegen wirtschaftlichen Liberalismus und die Marktmechanismen. Zudem haben die Bürger in den vergangenen Jahren beobachtet, dass der Staat in Krisen ja eh alles richtet und beliebig Geld zur Verfügung stellen kann. Diese beiden Erfahrungen führen bei manchem zur Schlussfolgerung, dass Märkte Teufelszeug sind und der Staat alles leisten kann. Dabei stößt der Staat zum einen immer mehr an finanzielle Grenzen, und zum anderen achtet er zu wenig auf die Effizienz.

Wenn wir uns jetzt nicht bewegen, bleiben wir in Deutschland dem Wohlstand des letzten Jahrhunderts verhaftet.

Was passiert, wenn wir so weiterwirtschaften wie bisher?

Wohlstand ist ein relativer Zustand. Wenn wir uns nicht bewegen, fallen wir schlicht zurück. Andere Regionen in der Welt erzeugen in der Zwischenzeit ganz andere Formen von Wohlstand, an denen wir dann nicht mehr partizipieren. Wenn wir uns jetzt nicht bewegen, bleiben wir dem Wohlstand des letzten Jahrhunderts verhaftet, was die Technologie angeht, was die materiellen Dinge betrifft und die damit zusammenhängenden Dienstleistungen. Und das sollte nicht unser Bestreben sein.

Das Interview führten Detlef Fechtner und Stephan Lorz.

Das Interview führten Detlef Fechtner und Stephan Lorz.


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