Der Kampf um den Verbleib von SAP im Dax
Der Kampf um den Verbleib von SAP im Dax
Es geht nicht nur um die Kappungsgrenze, sondern auch um die Folgen der fragwürdigen Fonds-Regulierung
Von Werner Rüppel, Frankfurt
Dieser Rekordlauf ist phänomenal. Nicht nur die US-Aktien der Magnificent 7 haben in diesem Jahr deutlich zugelegt. Auch in Deutschland gibt es mit SAP eine Big-Tech-Company von Weltgeltung. Und der Aktienkurs der deutschen Microsoft, des auf Geschäftssoftware spezialisierten Unternehmens, hat im bisherigen Jahresverlauf rund 60% zugelegt und damit den Dax 40 deutlich geschlagen, der nur auf ein Plus von rund 15% kommt.
Womit wir schon beim Problem sind. Um SAP im Dax zu halten, hat die Deutsche Börse erst mit Wirkung vom März die Kappungsgrenze für einen Einzeltitel von 10% auf 15% erhöht. Nun hat SAP auch diese Schwelle überschritten und liegt aktuell bei einem Dax-Gewicht von knapp 17%. Daher droht die SAP-Aktie im Dezember bei 15% gekappt zu werden. Dann müssten Indexfonds, die den Dax abbilden, SAP-Aktien verkaufen, was den Aktienkurs unter Druck setzen könnte.
Reale Gefahr
Die Deutsche Börse und der Finanzplatz Deutschland sind vor diesem Hintergrund in heller Aufruhr. Denn mit Linde hat im März 2023 schon einmal der größte Wert im Dax aufgrund der Kappungsgrenze den deutschen Leitindex verlassen. Die Sorge ist nun, dass SAP den Dax verlassen könnte. „Das wäre schlimm, ohne SAP kann man den Finanzplatz Deutschland vergessen“, heißt es in Finanzmarktkreisen. „SAP ist leider die einzige Softwarefirma aus Deutschland, die es international geschafft hat und ein weltweiter großer Player ist. Insofern ist SAP einzigartig.“
Doch droht SAP überhaupt den Dax zu verlassen, ist die Gefahr real? SAP macht keinen Hehl daraus, dass man – wie andere Big Tech-Unternehmen auch – vor allem versucht, große Investoren aus den USA mit entsprechend üppigen Tickets zum Einstieg in die Aktie zu bewegen. Diesen Investoren sei nicht zu vermitteln, dass Druck auf die Aktie entstehe aufgrund einer Kappung im Leitindex Dax oder auch aufgrund der Regulierung von europäischen Ucits-Fonds. Daher befindet sich SAP auch in Gesprächen mit der Deutschen Börse.
Nicht in S&P und Nasdaq
Als deutsches Unternehmen ist der Walldorfer Softwarekonzern natürlich nicht im US-Leitindex S&P 500 vertreten. In den USA notiert SAP nicht an der Technologiebörse Nasdaq, sondern an der Nyse. Folglich ist die SAP-Aktie auch nicht im bekannten Technologieindex Nasdaq 100 vertreten. Das ist beides schon ein gewisser Nachteil für ein Tech-Unternehmen, das seine Marktkapitalisierung steigern und in Richtung anderer großen Tech-Firmen voranbringen will.
Die Deutsche Börse wiederum will, wie zu hören ist, alles tun, um SAP in ihrem Leitindex Dax zu halten. Dem Vernehmen nach hat auch die Politik, sprich die Bundesregierung, ein sehr großes Interesse, dass SAP weiterhin an der Deutschen Börse und im Dax notiert. Auch Berlin sei informiert und involviert, heißt es, sogar der Kanzler.
Das Problem geht aber über die Kappung der SAP-Aktie im Dax hinaus. So stellt ISS Stoxx, eine Tochter der Deutschen Börse, in einer Stellungnahme heraus, dass aktuell lediglich 15,6 Mrd. Euro in Dax-ETFs gehalten werden. Dies seien weniger als 1,3% der Free-Float-Marktkapitalisierung des Dax. Daher sei mit einer Kappung der SAP-Aktie bei 15% kein signifikanter Effekt verbunden.
ETFs dürfen bis zu 20%
„Ein wesentlich größer Einfluss kommt nach unserer Meinung von bestimmten europäischen Regulierungen für Investments“, so ISS Stoxx. Denn die aktiven auf deutsche Standardwerte bezogenen Fonds machten mit 1,94% der Free-Float-Marktkapitalisierung des Dax erheblich mehr als die Dax-ETFs aus. Nur dürfen aktive Fonds gemäß der EU-Regulierung für Privatanlegerfonds (Ucits) maximal 10% des Fondsvermögens in die Aktie eines einzelnen Unternehmens investieren. Hier liegt eine Ungleichbehandlung gegenüber Ucits-Index-ETFs vor. Denn diese dürfen maximal 20% in eine einzelne Aktie investieren. Dieses Regulierungsungleichgewicht sollte schleunigst abgebaut werden. Aktuell dürfen also auf deutsche Aktien fokussierte Fonds wie beispielsweise der Deka-Fonds oder der Uni Deutschland maximal 10% in die SAP-Aktie investieren. Da die SAP-Aktie derzeit durchstartet und ein Gewicht von aktuell 17% im Dax hat (im Dezember würde dann bei 15% gekappt), ist die Underperformance dieser Fonds gegenüber dem Dax geradezu zwangsläufig.
Ucits-Regeln uneinheitlich
Nun hat die Deutsche Börse vor wenigen Wochen in einer Stellungnahme gegenüber der europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA auf die negativen Folgen der 10%-Ucits-Regel sowie der Diskrepanz gegenüber der 20%-Regel für Ucits-ETFs hingewiesen. Nach Meinung der Börse gibt es „keine plausiblen Gründe“, warum das Limit für eine einzelne Aktie nicht in Richtung der 20%, die für ETFs bereits gelten, weiter entwickelt werden sollte. Dann könnten auch aktive Fonds bis zu 20% in eine Aktie investieren. Allerdings lassen sich die Ucits-Bestimmungen nicht so einfach ändern. Dies würde eine Gesetzesänderung auf europäischer Ebene erfordern.
Um zu verhindern, dass SAP dem Dax womöglich doch den Rücken kehrt, wären also zwei Maßnahmen geboten: Die Anpassung der Ucits-Regeln an die Bestimmungen für ETFs sowie auch eine Anhebung der Kappungsgrenze im Dax auf 20%, was aber erst nach einer vorherigen Konsultation der Marktteilnehmer erfolgen könnte. Die Fondsindustrie befürwortet keine dieser Maßnahmen. „Union Investment war strikt gegen die Anhebung der Kappungsgrenze auf 15%, da dies eine deutliche Wettbewerbsverzerrung für aktiv gemanagte Fonds bedeutet“, erklärt Benjardin Gärtner, Leiter Aktienfondsmanagement bei Union Investment. „Entsprechend lehnen wir auch weitere Anhebungen ab.“
BVI gegen Anhebung
Auch der Fondsverband BVI ist gegen eine Anhebung der Kappungsgrenze. „Das Delisting von Linde war alarmierend und ist ein Anlass darüber nachzudenken, wie man den Finanzplatz Frankfurt stärken kann. Eine weitere Anhebung der Kappungsgrenze im Dax trägt jedoch nicht zu einer höheren Marktattraktivität bei. Das hat das Beispiel der T-Aktie gezeigt. Diese hatte mit einem zeitweiligen Gewicht von 20% während der Dotcom-Krise den Dax in die Tiefe gerissen“, erklärt ein BVI-Sprecher. „Finanzindizes sollten breit diversifiziert sein, damit aktive Vermögensverwalter in möglichst viele Bestandteile eines Finanzindex investieren können. In dieser Hinsicht sind die im Kapitalanlagegesetzbuch und in der europäischen OGAW-Richtlinie festgelegten Anlagegrenzen der Ausgangspunkt.“
Alles in allem ist die Gemengelage nicht einfach, denn das Argument, dass ein „Übergewicht“ dem Dax auch schaden kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Doch sollte in jedem Fall das Regulierungsungleichgewicht in den Ucits-Richtlinien beseitigt werden. Hier erscheint eine Anhebung der Grenze für Einzelinvestments auf 20% auch für aktive Manager sinnvoll.