Ampel-Koalition am Ende
Reuters Berlin
Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist nach knapp drei Jahren zerbrochen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entließ Finanzminister Christian Lindner am Mittwochabend und verband dies mit schweren Vorwürfen gegen den FDP-Chef. „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“, sagte Scholz. Der Kanzler will nun am 15. Januar im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und damit vorgezogene Neuwahlen herbeiführen. Diese könnten nach seinen Worten spätestens bis Ende März stattfinden. Der entlassene FDP-Chef Lindner warf dem Kanzler im Gegenzug mangelnde Führungsstärke vor. Vizekanzler Robert Habeck bedauerte die Entwicklung, forderte aber auch schnell Klarheit über den politischen Kurs des Landes.
Scholz warf Lindner in einer fast 15-minütigen Erklärung im Kanzleramt vor, es gehe ihm nur um „das kurzfristige Überleben“ der eigenen Partei. Er müsse als Kanzler aber das Wohl des Landes im Auge haben, der Finanzminister habe die Handlungsfähigkeit der Regierung blockiert. Der FDP-Chef habe noch am Mittwoch ein umfassendes Angebot für einen Haushalt 2025 und weitere Wirtschaftshilfen abgelehnt. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf Lindner unverantwortliches Verhalten vor, er habe dem Kanzler das Vertrauen entzogen. Sowohl Scholz als auch Lindner wurden in den Sonderfraktionssitzungen von SPD und FDP am Abend jeweils mit großem Applaus begrüßt. Mehrere Unionspolitiker forderten am Abend sofortige Neuwahlen.
Scholz schlug Ukraine-Sonderfonds vor
Der Kanzler schlug nach eigenen Angaben vor, durch eine Ausnahme von der Schuldenbremse die Neuverschuldung zu erhöhen. Nach Informationen aus Regierungskreisen schlug Scholz Lindner in den Verhandlungen mehrfach einen sogenannten Überschreitungsbeschluss im Haushalt über 15 Milliarden Euro für die Ukraine vor. Darin enthalten sein sollten die im Haushaltsentwurf 2025 bereits vorgesehenen zwölf Milliarden Euro für verschiedene Aspekte der Ukraine-Unterstützung. Außerdem wollte Scholz die Militärhilfe um weitere drei Milliarden Euro aufstocken, hieß es. Dies hätte gleichzeitig die Probleme im Haushalt 2025 gelöst, der nun vorerst nicht verabschiedet werden kann. Lindner und die FDP hatten in den vergangenen Monaten immer wieder deutlich gemacht, dass sie eine Ausnahme von der Schuldenbremse ablehnen.
Am Abend eskalierten die Gespräche in der entscheidenden Sitzung des Koalitionsausschusses, als Lindner Neuwahlen vorschlug und dann in einer Gesprächspause dieser Vorschlag öffentlich wurde. Danach habe sich Scholz zur Entlassung entschieden, hieß es. „Es gibt keine Vertrauensbasis mehr“, sagte der Kanzler selbst. Er habe den Bundespräsidenten daher um die Entlassung des Finanzministers gebeten. Alle übrigen FDP-Minister - Verkehrsminister Volker Wissing, Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger - reichten ihren Rücktritt ein. Offen war am Abend zunächst, wer das Finanzministerium vorübergehend leiten soll.
Lindner erhebt selbst schwere Vorwürfe
Bundesfinanzminister Lindner wehrte sich gegen die Vorwürfe und betonte, er habe dem Kanzler Vorschläge unterbreitet, „um unser Land wieder auf Erfolgskurs zu bringen“. Diese Vorschläge etwa für weniger Bürokratie, geringere Steuerlast sowie eine pragmatische Klima- und Energiepolitik und mehr Kontrolle bei der Migration „wurden von SPD und Grünen nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert“. Die Gegenvorschläge des Kanzlers indes seien „matt, unambitioniert“ gewesen. „Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen.“
Stattdessen habe Scholz wiederholt verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen. „Dem konnte ich nicht zustimmen, weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte“, sagte Lindner. Allerdings gab es bereits zu Beginn des Koalitionsausschusses nach Reuters-Informationen Hinweise, dass Lindner die Ampel-Koalition am Abend platzen lassen wolle.
Vizekanzler Robert Habeck bedauerte den Bruch des Regierungsbündnisses mit SPD und FDP. Er wisse, wie unbeliebt die Ampel sei. „Dennoch will ich sagen, für uns sagen, dass sich das heute Abend falsch und nicht richtig anfühlt. Geradezu tragisch an einem Tag wie diesem, wo Deutschland in Europa Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit zeigen muss“, sagte Habeck am Abend. Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten müssten Deutschland und Europa Handlungsfähigkeit zeigen. Es hätten Lösungsmöglichkeiten auf dem Tisch gelegen. Die größte Lösung wäre nach seinen Worten gewesen, der Ukraine mehr Unterstützung zu geben. Die FDP sei nicht bereit gewesen, diesen Weg zu gehen. „Wir werden jetzt zügig den Weg für Neuwahlen freimachen“, sagt Habeck.
Die SPD liegt in Umfragen derzeit bei 15 bis 16 Prozent, die Grünen bei zehn bis elf Prozent. Die FDP liegt mit drei bis 4,5 Prozent bei den meisten Umfrageinstituten unter der Fünf-Prozent-Hürde.
Scholz will Gespräch mit Merz suchen
Scholz kündigte an, dass er nun „sehr schnell“ das Gespräch mit Oppositionsführer Friedrich Merz suchen werde. „Ich möchte ihm anbieten, in zwei Fragen, die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten: Bei der schnellen Stärkung unserer Wirtschaft und unserer Verteidigung“, sagte der Kanzler. „Unsere Wirtschaft kann nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden haben.“ SPD-Fraktionschef Mützenich forderte Merz auf, sich als „verantwortungsvolle Opposition“ auch bei der Verabschiedung des Haushalts 2025 zu zeigen.
Merz besteht indes auf Neuwahlen bereits im Januar und nicht erst im März. Dafür habe sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in ihrer Sondersitzung ausgesprochen, sagte der CDU-Chef. „Das muss jetzt schnell gehen.“ Er werde heute sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz als auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bitten, den Weg dafür freizumachen, fügt der Kanzlerkandidat der Union hinzu.
Regierung will die wichtigsten Ampel-Gesetze bis Weihnachten umsetzen
Die Regierung will versuchen, dass bis Weihnachten alle wichtigen Gesetze der Ampel, die bereits auf dem Weg sind, noch umgesetzt würden und der Bundesrat am 20. Dezember zustimmen könne. Dazu zählten der Ausgleich der kalten Progression bei der Steuer, die Stabilisierung der gesetzlichen Rente, die Reform der europäischen Asylpolitik wie auch Sofortmaßnahmen für die Wirtschaft. Die SPD rechnet mit einer Zustimmung auch der FDP für die von ihnen in der Ampel mitbeschlossenen Gesetzesvorhaben.
Scholz skizzierte in seiner Erklärung das Paket, das er dem FDP-Chef präsentiert und das dieser abgelehnt habe: Bestandteile seien etwa eine Deckelung der Netzentgelte sowie ein Paket zur Sicherung der Arbeitsplätze in der Automobil-Industrie und bei den vielen Zulieferer-Betrieben gewesen. Drittens wolle er eine Investitionsprämie einführen und noch einmal die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten verbessern, damit Unternehmen jetzt in den Standort Deutschland investieren. Viertens habe er die Hilfe für die Ukraine erhöhen wollen, die einem schweren Winter entgegengehe.