Im InterviewJan Hatzius, Chefvolkswirt Goldman Sachs

„Bei einer US-Fiskalkrise sind Spillover-Effekte möglich“

Goldman-Chefvolkswirt Jan Hatzius sieht grundsätzlich positive Vorzeichen für das US-Wirtschaftswachstum. Doch die Fiskalpolitik Washingtons berge Unsicherheiten und drohe den Anleihemarkt schwer zu belasten.

„Bei einer US-Fiskalkrise sind Spillover-Effekte möglich“

Im Interview: Jan Hatzius

„Bei einer
US-Fiskalkrise drohen Spillover-Effekte“

Goldman-Chefvolkswirt sieht Haushalt auf „nicht nachhaltigem“ Weg – Negativer Wachstumseffekt durch Protektionismus

Goldman-Chefvolkswirt Jan Hatzius sieht grundsätzlich positive Vorzeichen für das US-Wirtschaftswachstum. Doch die Fiskalpolitik Washingtons berge Unsicherheiten und drohe den Anleihemarkt schwer zu belasten.

Herr Hatzius, die Anleger sind bezüglich der Wachstumsaussichten für die USA weitgehend optimistisch, während mit Blick auf Europa und China nach wie vor Trübsal herrscht. Wie fallen Ihre Erwartungen für die Weltwirtschaft im kommenden Jahr aus?

Wir sind einigermaßen optimistisch für das globale Wachstum. Unsere Prognosen weichen nicht stark von den vom Internationalen Währungsfonds vorhergesagten 3,2% ab. Wir erwarten jedoch große regionale Unterschiede. Während wir für die Vereinigten Staaten ein sehr solides Wachstum von 2,5% annehmen und damit deutlich über dem Konsens liegen, fallen unsere Prognosen für Europa niedriger aus als der Mittelwert der Schätzungen. Die Wachstumstreiber für die USA greifen unabhängig von möglichen politischen Neuerungen durch die neue Regierung in Washington. Dazu zählen vor allem ein starker Anstieg des real verfügbaren Haushaltseinkommens aufgrund des Rückgangs der Preisinflation, der wesentlich stärker ausfällt als der Rückgang der Lohninflation. Angesichts des anhaltenden Beschäftigungswachstums, des starken Aktienmarktes und der sich verbessernden Aussichten für den Immobilienmarkt sind wir mit Blick auf die Stärke des Konsumverhaltens in den USA optimistischer als viele unserer Kollegen.

Warum fallen die allgemeinen Aussichten für den zyklischen Konsum dann so pessimistisch aus?

Ich glaube, dass viele Marktteilnehmer die Bedeutung bestimmter Faktoren übergewichten, beispielsweise den Anstieg der Zahlungsrückstände bei Autokrediten und Kreditkarten. In diesen Sektoren ist lediglich eine Normalisierung nach einer sehr starken Periode für die Kreditqualität der Haushalte zu beobachten. Die Verbraucher sind mit hohen Reserven aus der Pandemie gekommen, und die Ersparnisse sind in den vergangenen Quartalen gesunken, so dass sich natürlich auch die Kreditqualität adjustiert. Das Wachstum des real verfügbaren Einkommens ist jedoch die wichtigste Messgröße, da von ihm die Konsumausgaben abhängen.

Wie stark wirken sich die Zinssenkungen der Fed in diesem Umfeld auf die Realwirtschaft aus?

Sie haben dazu beigetragen, die finanzielle Ausstattung der Haushalte zu verbessern. Die Zinserhöhungen im Jahr 2022 und in der ersten Hälfte des Jahres 2023 bedeuteten eine massive Belastung. Denn die Märkte preisten sie in die langfristigen Zinssätze ein, was den Zugang zu Krediten erschwerte und die Aktienkurse belastete. Im kommenden Jahr dürfte die verbesserte Finanzkraft der privaten Haushalte etwa einen halben Prozentpunkt zum Wirtschaftswachstum beitragen.

Wie sieht es auf der Angebotsseite aus?

Der Produktivitätstrend in den USA fällt ziemlich stark aus. Insgesamt haben wir seit Ende 2019 einen annualisierten Anstieg von etwa 1,8% erlebt – ein höheres Wachstumstempo als im Jahrzehnt vor der Pandemie. Für das nächste Jahr rechne ich mit ähnlichen Werten. In der Zwischenzeit wird das Wachstum der Erwerbsbevölkerung mit ziemlicher Sicherheit zurückgehen. Es hat sich aufgrund der großen Einwanderungswelle 2023 extrem stark entwickelt, doch diese flaut bereits jetzt ziemlich stark ab und wird im nächsten Jahr weiter nachlassen. Das abnehmende Wachstum der Erwerbsbevölkerung stellt eines der Risiken während der Trump-Regierung dar. Auch deshalb erwarten wir, dass sich das US-Wachstum von 2,8% in diesem Jahr leicht auf 2,5% im kommenden Jahr abschwächen wird.

Inwieweit wird die Fed den Arbeitsmarkt im Rahmen ihres Doppelmandats noch unterstützen?

Die US-Notenbank hat sich bereits von einer einseitigen Ausrichtung auf die Inflation verabschiedet. Im Laufe des vergangenen Sommers haben wir nach dem signifikanten Anstieg der Arbeitslosigkeit im Juli eine starke Normalisierung erlebt. Dies wurde im Vorfeld der Zinssenkung um 50 Basispunkte im September deutlich. Seitdem hat sich der Arbeitsmarkt beruhigt, und die Fed ist im Hinblick auf ihr duales Mandat zu einem größeren Gleichgewicht zurückgekehrt. Dennoch spielt der Arbeitsmarkt in der Strategie der Zentralbank eine wesentlich wichtigere Rolle, weil sich die Inflation viel näher an ihrer Zielmarke bewegt als noch vor ein oder zwei Jahren. Wenn die Teuerung weiter abnimmt und die Auslastung des Arbeitsmarktes hoch bleibt, dürften diese beiden Faktoren zu einer neuerlichen Lockerung der Geldpolitik führen.

Jan Hatzius sieht durchaus Spielraum für Zinssenkungen der Federal Reserve. Foto: picture alliance / AA | Celal Gunes.

Wie schnell und wie weit kann die Fed die Zinsen senken?

Das hängt immer von der konkreten Datenlage ab. Ich halte drei weitere Zinssenkungen um 25 Prozentpunkte 2025 für realistisch. Wir gehen davon aus, dass sich die Fed Funds Rate zwischen 3,5 und 3,75% einpendeln wird. Das ist ein deutlich höheres Niveau als vor der Pandemie. Allerdings war die Finanzkrise 2008 ein außergewöhnliches Ereignis, in dessen Folge die Zinssätze in bis dahin unbekanntes Terrain fielen. In der Folge mussten viele Übertreibungen aus der Zeit vor der Krise zurückgeführt werden, die Weltwirtschaft musste sich von einer Rezession erholen. Das führt zu verzerrten Vergleichswerten und dazu, dass viele Leute bei ihren Schätzungen des neutralen Zinses zu weit gehen.

Wie schnell wird die Fed ihre Bilanzsumme reduzieren?

Die quantitative Straffung ist aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt, und das zu Recht – schließlich ist sie ist nicht das aktive Instrument der Geldpolitik. Ich erwarte nicht, dass die Fed besonders flink oder beweglich sein wird, weil sie die quantitative Straffung sehr ausgewogen gestalten will. Die Zentralbanker wollen die Bilanz auf ein Niveau reduzieren, das ausreicht, um die Mindestreserveanforderungen des Bankensystems zu erfüllen. Diese fallen sicherlich viel höher aus als vor 2008. Die Fed hat das Tempo des Abbaus Anfang des Jahres verringert, um sich dem Mindestniveau der erforderlichen Reserven langsamer zu nähern. So verschafft sie sich mehr Spielraum, um reagieren zu können, falls der Markt Anzeichen einer Verengung zeigt. Ich gehe davon aus, dass sie die Bilanz noch drei Monate lang mit dem derzeitigen Tempo abbauen und die Straffung dann langsam auslaufen lassen wird.

Die Fed ist ein wichtiger Ankerinvestor auf dem Markt für Staatsanleihen. Was bedeutet ihr Bilanzabbau für die Fähigkeit der US-Regierung, das Wachstum der Staatsaugaben zu finanzieren?

Der US-Haushalt befindet sich fraglos auf einem nicht nachhaltigen Weg. Um auf Dauer ein Primärdefizit von 3% des BIP aufrechtzuerhalten, braucht man eine Kombination von extrem starkem Wirtschaftswachstum und extrem niedrigen Realzinsen. Dies ist aber unwahrscheinlich, weil Wachstum und Zinsen in der Regel zusammen auf und ab gehen. Ab einem gewissen Punkt könnte dies zu einer Krise führen. Dieser Zeitpunkt liegt angesichts der finanziellen Kapazität der Vereinigten Staaten und der globalen Nachfrage nach US-Staatsanleihen wahrscheinlich noch in einiger Ferne. Doch die Laufzeitprämien werden sich weiter nach oben bewegen.

Welche Konsequenzen zieht das für die Realwirtschaft nach sich?

Die Folgen für Hypotheken- und Unternehmenskreditnehmer sind signifikant, da sich ihre Kreditkosten an den Staatsanleiherenditen orientieren. Erhöhungen können die Finanzierungs- und Wirtschaftsaktivität beeinträchtigen. Und wenn sich das Verhältnis zwischen Schuldenlast und Bruttoinlandsprodukt oder Zinsverpflichtungen zur Wirtschaftsleistung außerhalb der historischen Spanne bewegt, werden Marktteilnehmer eine sich beschleunigende Verschlechterung befürchten. Ein Anstieg der Schuldenquote um zehn Prozentpunkte führt nach unseren Schätzungen zu einem Anstieg der Laufzeitprämie um zehn bis 30 Basispunkte. Obwohl das nicht dramatisch aussieht und ich nicht glaube, dass sich die Finanzstabilität drastisch verschlechtern wird, sind im Falle einer Fiskalkrise in den USA Spillover-Effekte auf die internationalen Finanzmärkte durchaus möglich.

Einige Ökonomen sprechen sich für eine umfassende US-Fiskalreform aus. Wie wahrscheinlich ist eine solche angesichts der Polarisierung entlang des politischen Spektrums in den USA mittel- bis langfristig?

Im Moment gibt es keinen offensichtlichen Auslöser für größere fiskalische Reformen. Die Regierung kann ihre Ausgaben für den Zinsdienst nicht senken, ohne das Vertrauen der Finanzmärkte zu verlieren, und sie kann ihre Verteidigungsausgaben nicht kürzen, weil wir in einer risikoreicheren Welt leben. Keine der beiden Seiten im Kongress kann wirklich an den Ausgaben für die Sozial- und die Krankenversicherung rütteln, weil Wähler aus einkommensschwachen Schichten sehr negativ darauf reagieren würden. Außerdem werden die Republikaner die Steuern für Privatpersonen mit hohem Einkommen und Unternehmen nicht erhöhen...

Im Gegenteil: Trump will die Steuern senken, insbesondere für Unternehmen, die in den USA produzieren. Wie werden sich diese Senkungen konkret auswirken?

Wir rechnen nicht mit einer umfassenden Senkung des Körperschaftssteuersatzes. Er wird wahrscheinlich auf oder nahe dem Niveau von 21% bleiben, das er während der ersten Amtszeit Trumps erreicht hat. Für inländische Produzenten gehen wir jedoch von einer Senkung auf 15% aus. Während das an sich keine extrem expansive Fiskalmaßnahme darstellt, besteht das größere Problem darin, dass das Defizit mit rund 6% des BIP bereits sehr hoch ist. Es hätte sich bei jedem Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen ausgeweitet, der Weg zu einer nachhaltigeren Haushaltsführung ist nun unklar.

Donald Trumps Ankündigungen bezüglich Strafzöllen und Steuersenkungen sorgen für Unsicherheit. Foto: picture alliance / Anadolu | Nathan Posner.

Trump hat angedeutet, dass Strafzölle die durch Steuersenkungen entgangenen Staatseinnahmen ersetzen könnten. Inwieweit werden protektionistische Maßnahmen die Binneninflation in den USA wieder antreiben und die Möglichkeiten der Fed einschränken, ihre Geldpolitik weiter zu lockern?

In unserem Basisszenario gehen wir von einer Erhöhung der Zölle gegen China um 20 Prozentpunkte aus, und wir kalkulieren auch einen Autozoll gegen die Europäische Union sowie einen Zoll auf die Einfuhr von Elektrofahrzeugen aus Mexiko ein. Das dürfte zu einem Anstieg der US-Inflation um 40 Basispunkte führen. Ich glaube jedoch nicht, dass diese Entwicklungen für die Fed von großer Bedeutung sein werden, da es sich um einen Anstieg des Preisniveaus handelt, nicht um einen anhaltenden Anstieg der Inflation. Man muss sich das wie die in Europa gut bekannten Mehrwertsteuererhöhungen vorstellen, welche die Inflation für ein Jahr erhöhen, aber nicht mehr.

Welche Auswirkungen werden die Zölle auf das Wachstum haben?

Ein negativer Wachstumseffekt in einer gewissen Größenordnung ist wahrscheinlich, aber schwieriger abzuschätzen als der positive Inflationseffekt. Denn es sind mehrere Fragen offen: Gibt es Vergeltungszölle? Werden die höheren Staatseinnahmen für Steuersenkungen verwendet? Wie wird sich die Unsicherheit über die Handelspolitik auf die Investitionsausgaben von Unternehmen auswirken? Wie werden die Finanzmärkte reagieren? Zum Teil wegen der größeren Unsicherheit könnten die negativen Auswirkungen des Protektionismus auf das BIP-Wachstum für die Geldpolitik wichtiger sein als Preissteigerungen. Während der ersten Trump-Amtszeit reagierten die Finanzmärkte sehr negativ auf neue Zölle, und die Fed senkte in der Folge dreimal hintereinander die Zinsen. Niemand weiß, wie bedeutend die Strafmaßnahmen sein werden, aber ich denke, dass wir eine zusätzliche geldpolitische Lockerung sehen werden.

Der US-Handelskonflikt mit China lastet auf der globalen Ölnachfrage. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Matthew Brown.

Wie werden sich die erneuten Handelsspannungen mit China auf die weltweite Ölnachfrage und die US-Energiewirtschaft auswirken?

Das wird eher ein indirekter Effekt sein. Wir gehen davon aus, dass sich das Wachstum in China 2025 auf 4,5% verlangsamen wird. Eine durchschnittliche Erhöhung der US-Zölle auf Einfuhren aus China um 20 Prozentpunkte dürfte das Wirtschaftswachstum des Landes um etwa 70 Basispunkte beeinträchtigen. Die lockere Fiskal- und Geldpolitik Pekings würde jedoch wohl mehr als die Hälfte des Rückgangs wettmachen. Natürlich wirkt sich eine Konjunkturabschwächung in China auf die weltweite Ölnachfrage aus, aber für die US-Energiewirtschaft ist die Beziehung zu Kanada viel wichtiger – und Energie wird von etwaigen US-Zöllen gegenüber Kanada voraussichtlich ausgenommen sein. China steht derweil vor anderen großen Herausforderungen...

...der anhaltende Abschwung des Häusermarkts ist eine davon.

Richtig, und wie wir sowohl in den USA als auch in Ostasien und Japan immer wieder gesehen haben, lässt sich eine Krise des Immobilienmarkts nur sehr schwer durch die Politik eindämmen. Es dauert sehr lange, bis sich diese Negativtrends abschwächen. Deshalb glauben wir, dass eine weitere Verlangsamung in China über das Jahr 2025 hinaus wahrscheinlich ist.

Da wir über die globale Wirtschaft sprechen: Wie beurteilen Sie die Aussichten für Deutschland?

Ähnlich wie unser Ausblick für Europa insgesamt liegen auch unsere Wachstumsprognose für Deutschland unter dem Konsens. Die Bundesrepublik ist von der handelspolitischen Unsicherheit stärker betroffen als andere europäische Volkswirtschaften, da sie noch stärker exportorientiert ist. Darüber hinaus ist das Problem der hohen Energiekosten von erheblicher Bedeutung. Entscheidungen aus den vergangenen 20 Jahren – wie der Atomausstieg und der starke Verlass auf russisches Gas – rächen sich für Deutschland nun. China verlieh der deutschen Wirtschaft in den letzten zwanzig Jahren viel Rückenwind, weil die Nachfrage nach deutschen Industrieprodukten so stark wuchs. Diese ist mittlerweile abgeflaut, teils wegen des generell schwächeren chinesischen Wachstums und teils weil chinesische Firmen mittlerweile qualitativ hochwertig produzieren können. Auch auf Drittmärkten hat sich China mittlerweile zu einem starken Konkurrenten für Deutschland entwickelt. Auch deshalb glaube ich, dass das deutsche Wirtschaftswachstum 2025 gegen Null tendieren wird.

Auf der anderen Seite weist Deutschland im Verhältnis zum BIP noch immer eine niedrige Verschuldung auf...

Das ist ein positiver Faktor – zumindest prinzipiell. Die Regierung verfügt über einen großen fiskalischen Spielraum, um Infrastrukturprobleme anzugehen, während sich Investitionen in Flüssigerdgas langfristig auszahlen dürften. Die politische Unsicherheit rund um die Wahlen im Februar und darüber hinaus stellt jedoch ebenfalls eine Herausforderung dar.

Inwieweit kann der KI-Boom Produktivitätssteigerungen in der globalen Wirtschaft auslösen?

Mittel- bis langfristig wird KI ein sehr wichtiger Faktor sein. Letztes Jahr haben wir daher unsere Vorhersagen für das US-Potentialwachstum in den frühen 2030er Jahren von 1,8% auf 2,2% angehoben. Für andere entwickelte Volkswirtschaften haben wir aufgrund des KI-Booms weitgehend ähnliche Änderungen vorgenommen. Selbst wer keine aggressiven Annahmen zu künstlicher allgemeiner Intelligenz trifft, muss sich nur Arbeitsplätze mit geringer und mittlerer Wertschöpfung ansehen – binnen 10 bis 15 Jahren könnten 25% der Arbeitsstunden durch KI ersetzt werden. Das dürfte zu einem beträchtlichen Produktivitätsschub führen.

Auf dem Markt gibt es viel optimistischere Prognosen...

Ja, aber wir sollten realistisch sein. Alle großen Allzwecktechnologien brauchten Jahrzehnte, um sich in den Wirtschaftsstatistiken wirklich bemerkbar zu machen. Bei der Elektrizität dauerte es fast ein Jahrhundert, bis sie zu umfassenden und bedeutenden Produktivitätssteigerungen führte, bei Computern und dem Internet waren es mehrere Jahrzehnte. Bei der künstlichen Intelligenz gehen wir von einer kürzeren Verzögerung aus, aber eine gewisse Geduld ist immer noch geboten. Selbst die innovativsten Unternehmen sind noch am Suchen, wie sie die Technologie am besten für echte Produktivitätssteigerungen nutzen können. Und bevor die breite Masse der Unternehmen richtig schnelle Fortschritte sieht, wird es voraussichtlich noch mehrere Jahre dauern.

Bis die breite Masse der US-Unternehmen beim Trendthema künstliche Intelligenz echte Fortschritte sieht, dürfte es laut Jan Hatzius noch dauern.

Donald Trump versucht, sich als technologiefreundlich zu positionieren, begrüßt Kryptowährungen und verspricht Deregulierung. Wie schätzen Sie das regulatorische Umfeld in der kommenden Legislaturperiode ein?

Der KI-Boom ist nicht an den politischen Zyklus gebunden, daher glaube ich, dass die Entwicklung unabhängig vom Wahlausgang schnell vorangeschritten wäre. Darüber hinaus wird das regulatorische Umfeld, etwa was die Wettbewerbspolitik angeht, in den nächsten Jahren aber wohl unternehmensfreundlicher ausfallen. Auch bei der Finanzmarktregulierung wird es voraussichtlich zu einer gewissen Lockerung kommen. Wir erwarten jedoch keine Abkehr von den Regeln, die nach der Finanzkrise 2008 geschaffen wurden. Was die Energiepolitik betrifft, so dürfte es mehr Ölbohrungen auf US-Bundesgebiet und andere Maßnahmen zur Erschließung größerer Energievorräte geben. In jedem dieser Fälle werden die Industrien jedoch eher von fundamentalen Entwicklungen als vom regulatorischen Umfeld angetrieben werden.

Was heißt das konkret?

Die Energiebranche ist ein gutes Beispiel. Während die Biden-Regierung eindeutig regulierungsfreudiger war und Umweltfragen einen höheren Stellenwert einräumte als Donald Trump, ist die US-Ölproduktion in den vergangenen vier Jahren stark gestiegen und hat historische Rekorde erreicht. Umgekehrt könnten unter Trump die großen Kapazitätsreserven in der weltweiten Ölförderung auf den Preis drücken und damit Investitionen in zusätzliche Förderkapazität bremsen.

Das Interview führte Alex Wehnert.

Das Interview führte Alex Wehnert.

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