Nachhaltigkeit, der neue Goldstandard im Finanzwesen?
1. Aktuelle Herausforderungen und Stand der regulatorischen Umsetzung
Die Umsetzung der durch die EU beschlossenen Änderungen zur Gleichstellung von ESG- und Nachhaltigkeitsaspekten bei der Erbringung von Wirtschaftsleistungen innerhalb der EU ist in vollem Gange. Wichtige Bausteine dieser fundamentalen gesetzgeberischen Einwirkung auf das Wirtschaftsgeschehen sind bereits verabschiedet, zum Beispiel die ersten Kapitel der EU-Taxonomie zu den Themen Klimaschutz oder die Verordnung zur Transparenz von Nachhaltigkeit im Finanzwesen (SFDR). Weitere Bausteine folgen in einer hohen Taktfrequenz: 4 weitere Umweltkapitel der EU-Taxonomie (Januar 2023), Offenlegungsverordnung zu Nachhaltigkeit für Unternehmen (CSDR – Januar 2024) und weitere Verordnungen zum sogenannten Ecolabel und Benchmarks mit Nachhaltigkeits-Charakteristiken (2023/2024).
Auch die aktuell eher schädliche Diskussion zur Anerkennung von Kernenergie und Erdgas beziehungsweise die Verwerfungen in der EU-Energiepolitik durch den Ukraine-Krieg werden den Umwandlungsprozess nicht stoppen. Die Erwartung ist eher eine Beschleunigung der Wende zur nachhaltigen Energieversorgung innerhalb der EU, um mittelfristig eine Energiesicherheit gewährleisten zu können, ohne die Ziele des Pariser Klimaabkommens vollständig zu verfehlen – im Englischen würde von einer „direction of travel“ gesprochen, die die EU nun sehr deutlich und schnell eingeschlagen hat.
Was bedeutet dies für das Finanzwesen? Nun zuerst steht die Rolle des Finanzwesens als Kapitalgeber beziehungsweise Kapitalstromlenker und -verteiler im Vordergrund. Hier sind Fonds und Banken direkt in der ersten Umstellungswelle betroffen: die Neuausrichtung der Finanzprodukte (und Transparenz dieser Neuausrichtung) im Hinblick auf die Offenlegungsverordnung (SFDR) und die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitspräferenzen bei den Investoren (Mifid). Erschwerend sind einige der EU-Anforderungen nicht spezifisch genug und lassen Raum für Interpretationen.
2. Auswirkungen auf Fonds
Die unmittelbare Auswirkung für die Publikumsfonds (Ucits) und Spezialfonds (AIF) obliegt in der Entscheidung zur Klassifizierung in die neu geschaffenen Kategorien der SFDR: Art. 8 – ein Fonds mit einer ESG Politik, Art. 9 – ein Fonds mit Nachhaltigkeitsziel(en). Sofern ein Produkt keine der beiden Kategorien erfüllt, dürfen keine ESG- oder Nachhaltigkeitsaspekte beworben werden, und ein solches Produkt erfüllt damit auch nicht den neuen Mifid Zielmarkt von Investoren mit Nachhaltigkeitspräferenzen. Ein großes Manko für die Vertriebsfähigkeit, jetzt und vor allem perspektivisch.
Somit stellt die Fondsbranche schnell und flächendeckend auf die Art.-8- oder Art.-9-Kategorien um. Die Anforderungen des Gesetzgebers sind dabei vielschichtig und ausgelöst durch Offenlegungspflichten an die Investoren. Nur Anlagestrategien, die ESG oder Nachhaltigkeitsindikatoren in verbindlicher Weise integrieren und berücksichtigen – bei Anlage-Auswahl und -Risiko – sind im Einklang mit den Regeln. Somit durchziehen diese Indikatoren und Filter die gesamte Wertschöpfungskette der Fondsbranche: Anlageidentifikation und Investment-Prozess, Anlagegrenzkontrolle, Buchhaltung und Verwahrung sowie das periodische Berichtswesen und Jahresberichte.
Im Falle, dass einer der Teile der Wertschöpfung nicht den Erfordernissen nachkommt, drohen der Sachverhalt der Nicht-Konformität mit Gesetz und Reputationsschäden (im Sinne von Greenwashing-Anschuldigungen).
3. Auswirkungen auf Banken
Die Auswirkungen der Regulierung zur Nachhaltigkeit bei Banken sind umfassend und vielfältig. Insbesondere das Taxonomie-Reporting betrifft hierbei die gesamte Wertschöpfungskette. Vom Frontoffice über das Backoffice bis hin zum Controlling müssen die Prozesse innerhalb der Bank neu durchdacht und angepasst werden. Die aus der Taxonomie resultierenden Reportinganforderungen sind komplex, wobei insbesondere die im nächsten Jahr zu veröffentlichenden Taxonomie-Konformitätsquoten Banken vor große Herausforderungen stellen, da die hierzu notwendigen Daten überwiegend noch nicht zur Verfügung stehen. Um den Anforderungen der Berichterstattung zum Taxonomie-Alignment gerecht zu werden, müssen neben der Erhebung von Marktdaten unter anderem auch zusätzliche Informationen vom Kunden angefordert werden. Das Backoffice der Kreditabteilung muss die zusätzlichen Daten überprüfen und das Controlling die anschließende Berechnung des Alignments vornehmen. Auch im Hinblick auf die Versorgung mit Marktdaten stehen die Banken vor der Herausforderung, dass sie derzeit noch nicht umfassend auf die Taxonomie-Berichte der Unternehmen zurückgreifen können, da diese selbst erstmals ihre entsprechenden Kennzahlen offengelegt haben.
Zudem untersagt die EU-Kommission die Verwendung von Schätzwerten für die verpflichtende Berichterstattung. Die bisher veröffentlichten Taxonomie-Konformitätsquoten der Banken legen unterschiedliche Erhebungsmethoden zugrunde. Im Hinblick auf die externe Prüfung müssen die Methoden vereinheitlicht werden, um die Qualität und Vergleichbarkeit der Daten sicherzustellen. Hierzu bedarf es weiterer Konkretisierungen durch die EU. Darüber hinaus wird durch die derzeitige Befreiung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) von der Taxonomieverordnung ein Anreiz zur Finanzierung erneuerbarer Energien genommen. Banken sollten die Verordnung dennoch als Chance begreifen und unter anderem die zu veröffentlichende Green Asset Ratio als Steuerungsinstrument unter anderem zur CO2-Reduzierung nutzen.
Genau wie die Fondsbranche stehen auch die Banken im Zusammenhang mit der Aktualisierung des auf Mifid basierenden Geeignetheitstests vor einer Neuordnung der Kunden und somit des Produktangebots. Es wird ein wichtiger Fokus auf das Investmentuniversum im Hinblick auf nachhaltigkeitsbezogenen Anlagen gelegt. Die Anwendung des zugrundeliegenden Rahmens für die Definition einer nachhaltigen Anlage (Fonds oder Mandat) stellt derzeit eine weitere Einschränkung dar. Die EU-Taxonomie ist ein Ansatz, hat aber ihren großen Schwachpunkt in der regulatorischen Timeline. Weder ist die zugrundeliegende Verordnung fertig gestellt, noch sind die Unternehmen in der EU bisher verpflichtet, über die Nachhaltigkeit ihrer Tätigkeit zu berichten. Die Kombination dieser Faktoren führt unter anderem zu der bizarren Situation, dass Banken Kunden nach detaillierten Nachhaltigkeitspräferenzen befragen müssen, nur um den Kunden später mitzuteilen, dass die relevanten Dienstleistungen aufgrund fehlender Finanzinstrumente im Markt noch nicht angeboten werden können.
Eine ESMA-Konsultation, die Klärung in diesem Bereich bringen sollte, ist zum jetzigen Zeitpunkt – einen Monat nach Inkrafttreten der regulatorischen Anforderungen – immer noch nicht finalisiert.
4. Empfehlungen zur Umsetzung und Wertschöpfung
Die Umstellung der Produkte, Organisation und Wertschöpfungskette birgt enorme Investitionen in IT, Datenverwaltung, Personal und Kommunikation. Die Glaubwürdigkeit wird sehr stark von der sorgsamen Definition der Nachhaltigkeitsstrategie und deren konsequenter und konsistenter Umsetzung abhängen.
Die wertschöpfende Umsetzung erfordert eine klare Berücksichtigung von ESG und Nachhaltigkeit in der Instituts-Strategie. Es handelt sich nicht um eine Reportingpflicht, sondern um die wohl weitreichendste Einflussnahme des Gesetzgebers in das Finanzwesen seit 50 Jahren (im Sinne „double materiality“).
Produkt- und Servicekataloge sind neu zu kalibrieren, das Risikomanagement zu erweitern und die Veröffentlichung der neuen ESG-Aspekte umzusetzen. Hierbei ist neben der Notwendigkeit der strukturierten Verwaltung dieser Daten auch zu beachten, dass Mitarbeitende in Sachen ESG-Regulierung umfassend geschult werden müssen und ein Verständnis der regulatorischen Anforderungen, insbesondere im Hinblick auf Kundeninteraktion und Datenbeschaffung, unabdingbar ist. Die ESG- und Taxonomie-Daten fließen zudem über die zentralen IT-Systeme. Hier ist die Daten-Architektur neu zu erdenken: Neue Datenfelder sowie Erfassungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten beziehungsweise ein neuer Datenhaushalt müssen geschaffen werden, um die Nachhaltigkeitsdaten aufzunehmen und zu verarbeiten.
Klare Verantwortlichkeiten
Darüber hinaus ist die Festlegung klarer Verantwortlichkeiten sowie die Verankerung des Themas in der Governance kritisch. Hierbei sollte die kommunikative Herausforderung im Zusammenhang mit den Offenlegungspflichten nicht unterschätzt werden, sollen die veröffentlichten ESG-Daten seitens des Marktes und der Öffentlichkeit richtig verstanden und interpretiert werden. Ist die Nachhaltigkeit nun der neue Goldstandard im Finanzwesen? Dies lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilen. Aber in jedem Falle ist diese Veränderung des Wettbewerbsumfeldes und der -faktoren derart maßgeblich, dass eine Nutzung als Kernelement der Wertschöpfung unabdingbar erscheint.
Wertschöpfung durch ESG? | |
7 maßgebliche Angriffspunkte | |
1. | Neuausrichtung der Organisation und Glaubwürdigkeit |
2. | Neuausrichtung des Produkt- und Dienstleistungsangebots |
3. | ESG-Risikomanagement |
4. | Aufarbeitung der Berichtspflichten und Kundeninformationsbedürfnisse |
5. | ESG-Datenverwaltung |
6. | Wissensmanagement und dedizierte ESG-Experten |
7. | … und die Königsdiziplin: Transition Management |
Quelle: PwCBörsen-Zeitung |