„Der gewaltige Schuldenberg wird entscheidend“
Im Interview: Terrence Duffy
„Der gewaltige Schuldenberg wird entscheidend“
Die ausufernde US-Staatsverschuldung dürfte laut Terrence Duffy die Volatilität am Anleihemarkt treiben. Der CEO der CME rechnet sich dadurch eine hohe Nachfrage nach Zinsfutures der weltgrößten Terminbörse aus. Zugleich warnt er, dass Pläne eines neuen Konkurrenten für Verwerfungen bei Treasuries sorgen könnten.
Herr Duffy, die US-Präsidentschaftswahlen liegen hinter uns – nun läuft die Debatte um Pläne der neuen Regierung zu Steuersenkungen und höheren Zöllen zunehmend heiß. Wie werden die Vorhaben Donald Trumps den amerikanischen Anleihemarkt und darüber auch die Märkte der CME Group beeinflussen?
Donald Trump ist aktuell erst einmal der designierte Präsident. Das ist ein wichtiger Unterschied. Denn wie seine Regierung aussehen wird und welche Vorhaben er prioritär verfolgt, nimmt gerade erst Form an. Ich unterstütze die meisten seiner Vorschläge – eine Senkung der Unternehmenssteuer für Inlandsproduzenten auf 15% ist zum Beispiel ein interessantes Konzept. Wir werden allerdings abwarten müssen, welche dieser Vorschläge Trump auch umsetzt. In jedem Fall werden hinsichtlich der Zins- und Anleihemarktvolatilität nicht bestimmte Steuersenkungen oder Zölle entscheidend sein, sondern der gewaltige Schuldenberg, auf dem die Vereinigten Staaten sitzen.
Wenn irgendjemand vor zehn Jahren vorhergesagt hätte, dass sich die nationale Verschuldung der USA irgendwann auf 36 Bill. Dollar ausweiten würde, hätte man denjenigen für verrückt erklärt.
Die nationale Verschuldung hat sich auf über 36 Bill. Dollar aufgebläht, das Haushaltsdefizit liegt bei nahezu 2 Bill. Dollar pro Jahr. Unterschätzen die Marktteilnehmer die Konsequenzen dieser fiskalischen Probleme?
Wenn irgendjemand vor zehn Jahren vorhergesagt hätte, dass sich die nationale Verschuldung der USA irgendwann auf 36 Bill. Dollar ausweiten würde, hätte man denjenigen für verrückt erklärt. Die Regierung in Washington muss sich künftig allerdings noch mehr Mittel beschaffen, um dieses Land effizient führen zu können. Doch es wird zunehmend schwieriger, Investoren zu finden, die zur Finanzierung des Defizits begebene Treasuries auch kaufen wollen. Das liegt auch daran, dass wir einen zunehmend härteren Wettbewerb zwischen den Emittenten am Staatsanleihemarkt sehen werden. Länder aus anderen Weltregionen streben ebenfalls nach Finanzierungen, um sich aus ökonomischen Schwächephasen freizuschwimmen. Investoren werden die Spreads zwischen Treasuries und Renditen in Europa oder anderen globalen Märkten daher sehr genau beobachten.
Wie werden sich die Zinssenkungen der Federal Reserve in der Diskussion um die ausufernde Staatsverschuldung niederschlagen?
Für die Fed wird es schwierig, die Geldpolitik noch weiter zu lockern. Die Inflation hält sich in den Vereinigten Staaten sehr hartnäckig, insbesondere bei Lebensmitteln und Basiskonsumgütern. Wenn die Preisniveaus einmal erhöht sind, ist es äußerst schwierig, sie zu drücken. Andersherum können sie sehr schnell wieder steigen, auch wenn sich die Inflation verlangsamt. Viel hängt nun von den ersten zwei oder drei Quartalen des neuen Jahres ab. Wenn die Trump-Administration ihre Strafzölle tatsächlich wie geplant umsetzen sollte, wird dies die inländische Inflation in den USA kurzfristig antreiben. Zinssenkungen sind in diesem Umfeld schwer vorstellbar.
Die Inflation hält sich in den Vereinigten Staaten sehr hartnäckig, insbesondere bei Lebensmitteln und Basiskonsumgütern. Zinssenkungen sind in diesem Umfeld schwierig vorstellbar.
Erwarten Sie folglich eine längerfristig erhöhte Aktivität in Zinsfutures, dem wichtigsten Produkt der CME?
Wir können keine genauen Volumina vorhersagen, aber Investoren dürften Produkte für das Risikomanagement in diesem Umfeld definitiv stark nachfragen. Die Märkte preisen aktuell ein, dass der Zinssatz auf Übernachtkredite der Fed auf 3,5% sinkt. Der Offenmarktausschuss müsste aber schon sehr aggressiv vorgehen, um dieses Ziel zu erreichen. Marktteilnehmer müssen sich zudem auch anderer Faktoren gewahr sein. Selbst kleine Bewegungen entlang der Zinskurve können schließlich große Auswirkungen auf die Bilanzen von US-Unternehmen haben. Im kommenden Jahr wird eine Masse an Unternehmensanleihen fällig – die Refinanzierung wird zu den noch immer erhöhten Zinsniveaus eine Herausforderung. Angesichts dieser Risiken glaube ich, dass es am Markt für Zinsfutures sehr lebhaft zugehen sollte.
Haben Investoren diese Risiken denn zur Genüge auf dem Zettel? Schließlich haben viele Trader, die heute aktiv sind, nie eine Finanzkrise oder große Liquiditätsbeschränkungen erlebt.
Das ist eine berechtigte Frage. Menschen, die zum Zeitpunkt der Finanzkrise 2008 in ihren Zwanzigern waren, kontrollieren heute große Summen. Bei ihnen scheint die Mentalität vorzuherrschen, dass jeder Kursrücksetzer eine Einstiegsgelegenheit bietet. Und sacken die Notierungen erneut ab, wird einfach weiter nachgekauft, weil es am Markt langfristig ja immer nach oben geht. Das ist eine schwierige Herangehensweise, aber sie hat über die vergangenen 16 Jahre funktioniert. Wenn die stärkste Marktrally, die Investoren je erlebt haben, eines Tages zu Ende gehen sollte oder sich zumindest eine Gegenseite mit steigendem Verkaufsdruck entwickelt, droht das viele Trader kalt zu erwischen. Warren Buffetts Buy-and-Hold-Theorie ist zwar ein guter Ansatz, für den Normalanleger sollte sie aber nicht das gesamte Portfolio bestimmen. Absicherungen sind wichtig, insbesondere gegen Zinsrisiken.
Die US-Regionalbankenkrise 2023 hat die Konsequenzen eines unzureichenden Risikomanagements selbst bei Finanzinstitutionen aufgezeigt...
Richtig, und die Art und Weise des Zusammenbruchs von Silicon Valley Bank und First Republic Bank macht deutlich, dass diese Konsequenzen über Nacht Realität werden können. Als die Fed im Frühjahr 2022 erstmals die Zinsen anhob, haben sich diese Institute eine Menge lang laufender Anleihen und damit ein hohes Durationsrisiko auf die Bilanzen gehoben. Nachdem die Geldpolitik binnen kurzer Zeit noch viel restriktiver wurde, entstanden den Banken auf dem Papier große Verluste, auf die sie nicht vorbereitet waren. Hätten sie auch nur 20 bis 30% ihres Treasury-Exposures über Futures gehedget, würden sie heute noch existieren. Allerdings hat sich die Wahrnehmung und Risikoneigung der Marktteilnehmer sehr stark verändert, seit ich in diesem Geschäft angefangen habe.
Sie begannen 1980 als Bote auf dem Trading Floor der CME und haben den Wert des Geldes auf den harten Weg kennengelernt. Sie arbeiteten als Barkeeper, um sich ein Studium zu ermöglichen, und schufteten auch früh in Ihrer Brokerkarriere nachts, nachdem Ihnen bei einem Trade durch eine falsch verstandene Order hohe Verluste entstanden waren. Ist die aktuelle Generation an Tradern dagegen zu wohlhabend aufgewachsen?
Jede Generation hält sich für schlauer als die unmittelbar davor oder danach. Ich will auf keinen Fall die Ideen junger Trader abwürgen. Doch ist es wichtig, sie daran zu erinnern, warum wir Risikokontrollmechanismen haben und warum es zu schlechten Ergebnissen führt, wenn sie sich nicht an die Spielregeln halten. Ich versuche, viele Universitäten zu besuchen und ehrliche Unterhaltungen mit Studenten darüber zu führen, wie sie künftig als Hüter der Märkte agieren und auch in turbulenten Zeiten hohe ethische Standards aufrechterhalten können. Als ich Anfang 20 war und aufgrund einer falsch verstandenen Order einen Verlust von 150.000 Dollar machte, hatte ich Angst. Aber ich habe mich da durchgearbeitet. Der Vorfall war für mich eine großartige Lektion darüber, wie sich Disziplin aufrechterhalten lässt. Zudem hat mich diese Erfahrung gelehrt, wie wichtig es ist, seinen Ausweg aus einem Trade schon zu kennen, wenn man ihn eingeht.
Seither haben Sie die CME durch zahlreiche bedeutende Ereignisse gesteuert, darunter auch der Börsengang 2002. Auch im aktuellen Umfeld spekulieren Investoren auf einen neuen großen IPO-Aufschwung. Würden Sie die CME oder einen anderen Marktbetreiber auch im heutigen Liquiditätsumfeld wieder aufs Parkett führen?
Jedes Unternehmen ist unterschiedlich und ich kann nur für mein eigenes sprechen. Ich habe im Markt sehr viele Leute gesehen, die falsch lagen und viel Geld gemacht haben und viele andere Leute, die richtig lagen und viel Geld verloren haben. Wenn ein Unternehmer überzeugt ist, ein IPO zu brauchen nur um die Bewertung seiner Firma schnell anzukurbeln, dann sollte er sich gar nicht erst an Market-Timing versuchen. Der Boden oder der Zenit des Markts lassen sich ohnehin nie genau treffen. Doch wer über genügend Vertrauen in sein Unternehmen verfügt, kann seinen eigenen Zeitplan setzen. Deshalb geht man schließlich auf Roadshows und bepreist den Börsengang je nach Investoreninteresse. Aktuell versucht jedoch jeder, den besten Zeitpunkt für ein IPO zu finden.
Das Geschäft mit Aktienlistings ist für die New York Stock Exchange und die Nasdaq sehr lukrativ. Zugleich versuchen auch einige Ihrer Wettbewerber wie CBOE Global Markets, in dieses Segment vorzustoßen. Können Sie sich vorstellen, als Marktplatz für Aktienlistings aktiv zu werden?
Nein, darin sehe ich keinen Mehrwert. Es gibt mit der Nyse und der Nasdaq bereits zwei große Marktplätze für Listings, und diese sind mehr als fähig, so viele IPOs abzuhalten wie möglich. Unternehmen haben sehr wenig zu gewinnen, wenn sie an eine andere Börse gehen. Die Strahlkraft, die ein Listing an der Nyse oder der Nasdaq mit sich bringt, ist für internationale Unternehmen entscheidend. Um in dieses Geschäft vorzustoßen, müsste ein neuer Marktplatz schon sehr einzigartige Dienstleistungen anbieten. Das ist jedoch sehr zeitaufwendig und teuer.
Ein weiteres prägendes Ereignis Ihrer bisherigen Amtszeit war der Merger mit dem Chicago Board of Trade, den sie 2007 abschlossen. Ist ein Deal dieser Größenordnung und Bedeutung im aktuellen Umfeld überhaupt vorstellbar, in dem die Kartellbehörden in den Vereinigten Staaten gegenüber Fusionen sehr kritisch eingestellt sind?
Im neuen Jahr und unter der neuen Regierung stehen Effizienzgewinne auf der Agenda ganz weit oben. Zwar wird Big Tech vermutlich weiterhin Probleme haben, Merger abzuschließen. Schließlich herrscht in diese Segment bereits eine sehr starke Konzentration, sieben Unternehmen kommen zusammen auf nahezu ein Drittel der Marktkapitalisierung im S&P 500. Vertreter anderer Branchen werden sich jedoch zusammenschließen wollen, um Effizienzen zu heben. Ich erwarte, dass die neue Administration Deals wesentlich offener gegenübersteht. Unternehmen werden allerdings zeigen müssen, dass ein Merger Kunden genauso zugute kommt wie Aktionären.
Inwieweit werden Sie versuchen, durch neue Akquisitionen Effizienzen bei der CME Group zu heben?
Wir konzentrieren uns stark auf unser vertikales Geschäftsmodell. Wenn Sie davon sprechen, ob wir uns für eine Übernahme anderer Börsen interessieren: Ich wüsste gar nicht, wo ich mich da umschauen sollte. Rein theoretisch mag es interessant sein, durch Akquisitionen das europäische Geschäft auszubauen, aber grenzübergreifende Transaktionen im Markt für Börsenbetreiber sind immer sehr schwierig. Ich lehne neue Deals grundsätzlich nicht ab, da ist gar nichts vom Tisch. Allerdings denke ich, dass wir nicht so sehr bei M&A aktiv sein müssen, sondern eher Innovation brauchen. Mein Prinzip ist es, einen Dollar wie fünf aussehen zu lassen und das Risiko für unsere Investoren auf 75 Cent zu minimieren.
Wie wollen Sie mehr Innovationen an die CME bringen?
Unsere Partnerschaft mit Google bietet für unser Geschäftsmodell großen Mehrwert. Unsere Kunden können die Lösungen von Google auf dem Feld der künstlichen Intelligenz im Rahmen neuer Strategien ausprobieren. So bieten wir gemeinsam zum Beispiel neue Risikomanagement-Protokolle an, die es sonst noch nirgendwo gibt. Wir arbeiten jetzt seit drei Jahren mit Google zusammen, die bei dieser neuen Technologie wirklich an der Speerspitze stehen, insbesondere bei Finanzmarkt-Anwendungen. Wir wollen die Zusammenarbeit fortsetzen, allerdings ist das keine exklusive Kooperation. Ich halte meine Augen immer nach neuen technologischen Entwicklungen offen.
Das Wachstum des Kryptomarkts ist unglaublich.
Eine weitere technologische Innovation, von der die CME stark profitiert, sind Kryptowährungen. Welche Bedeutung werden Bitcoin- und Ether-Produkte künftig in Ihrem Geschäftsmodell einnehmen?
Das Wachstum des Kryptomarkts ist unglaublich. Bitcoin markiert Allzeithochs oberhalb von 100.000 Dollar und die Diskussion kreist um die Preisentwicklung. Aus meiner Sicht ist das nicht der richtige Fokus. Dieses ziemlich junge Asset ist stark angebotslimitiert und trifft auf gewaltige Nachfrage, genauso wie Gold. Das bringt Herausforderungen für den US-Anleihemarkt mit sich. Schließlich könnte sich dieses digitale Gold zu einem Safe-Haven-Asset entwickeln und damit in Konkurrenz zu Treasuries treten. Das ist ein weiterer Grund, aus dem ich neuerliche Zinssenkungen für schwierig halte.
Die US-Börsenaufsicht SEC hat den Kryptomarkt wiederholt als Segment beschrieben, das von Betrug und Manipulation geprägt ist. Wie haben Ihre eigenen Zusammenstöße mit Sam Bankman-Fried, dem Gründer der insolventen Digital-Assets-Börse FTX, Ihre Sicht auf den Markt beeinflusst?
Ich war ein Gegner Sam Bankman-Frieds und der Erste, der öffentlich vor ihm gewarnt hat. Für mich war klar ersichtlich, dass er nichts Gutes im Schilde führte. Nichtsdestotrotz: Bei jeder neue Technologie – sei es das Internet, das Smartphone, künstliche Intelligenz oder eben Krypto – besteht immer das Risiko eines Missbrauchs. Im Finanzmarkt machen wir für jeden Schritt vorwärts leider drei Schritte zurück, wenn ein unerwünschtes Ereignis eintritt. In der Medizin läuft das zum Beispiel ganz anders, da werden neue Entwicklungen nicht direkt gestoppt, nur weil es einige Probleme mit neuen Behandlungsmethoden oder Medikamenten gibt. Ich denke, dass Krypto unabhängig von vergangenen Skandalen das Potenzial besitzt, die Finanzwelt effizienter und demokratischer zu machen.
Dennoch entstehen durch die rasante Bitcoin-Kursrally Risiken.
Das stimmt, und ich habe da eine Sorge: Während Kryptowährungen an Wert gewinnen, wird viel Müll in eine hübsche Verpackung gesteckt und als nächster Bitcoin präsentiert. Damit meine ich Coins, die überhaupt nicht auf der notwendigen Infrastruktur basieren, um betrügerische oder manipulative Verhaltensweisen aufspüren zu können und die keinen echten Mehrwert für Investoren bieten. Die SEC, der Derivate-Regulator CFTC und andere Behörden müssen die Öffentlichkeit vor diesen Marktelementen schützen, indem sie bessere Informationsangebote schaffen. Bitcoin, Ether und vielleicht noch Ripple sind die Kryptowährungen, die langfristig am Markt bleiben werden. Ich hoffe nur, dass wir uns bald weniger stark auf Intraday-Kursentwicklungen und mehr auf die Anwendungsfälle für verbundene Produkte konzentrieren.
US-Aufseher fahren gegenüber Krypto-Dienstleistern bisher einen sehr konfrontativen Kurs. Die Branche argumentiert für einheitliche Rahmenwerke, wie sie mit der Regulierung „Markets in Crypto Assets“ (MiCA) in Europa vorliegen. Die SEC pocht bisher darauf, dass Krypto über bestehende Wertpapiergesetze reguliert werden sollte. Was ist Ihre Meinung dazu?
Regulierung zieht Glaubwürdigkeit nach sich – und ohne die lässt sich kein Markt aufrecht erhalten. Wer argumentiert, dass die Krypto-Branche aus den USA abwandern und sich vollständig in Ländern und Regionen mit fortschrittlicheren Rahmenwerken ansiedeln wird, schätzt die wirtschaftliche Kraft der Vereinigten Staaten völlig falsch ein. Diese Produkte entwickeln sich nirgendwohin, wenn die USA sie nicht mit einem gut durchdachten regulatorischen Rahmenwerk unterstützt. Um dies zu erreichen, müssen Regulatoren allerdings Input aus der Branche akzeptieren und gemeinsam mit dieser Regeln und Richtlinien für den Investorenschutz entwickeln.
Heißt all das, Sie behandeln die an der CME verfügbaren Krypto-Produkte heute anders als Futures und Optionen in anderen Assetklassen?
Ja, das tue ich. Ich hinterfrage die bei uns handelbaren Produkte grundsätzlich sehr stark und fordere regelmäßig Liquiditäts- und Volumentests an. Die Volatilität bei Bitcoin- und Ether-Futures besorgt mich nicht so sehr, das ist schließlich Bestandteil jedes Markts und insbesondere eines so jungen. Aber ich will wissen, wer diese Produkte nutzt und wofür. Ich will sicherstellen, dass wir mit den Blackrocks und Fidelitys dieser Welt zusammenarbeiten, die Bitcoin im Rahmen ihrer Portfolios und ETFs anbieten, und nicht mit skrupellosen Elementen des Markts. Bei alldem müssen wir aber auch bedenken, dass Krypto nicht über Nacht breitere Akzeptanz finden wird, sondern sich das schrittweise entwickelt. Ich kann mir vorstellen, dass die Produkte über die kommenden fünf bis acht Jahre reifen, da mehr und mehr Marktteilnehmer begreifen, welche Effizienzgewinne sie bringen.
Effizienzgewinne sind auch in anderen Assetklassen ein großes Thema. Im abgelaufenen Jahr haben die USA den Settlement-Zyklus für den Großteil der Wertpapiertransaktionen auf T+1 verkürzt, die Abwicklung erfolgt also nur nach einen statt zwei Tage nach dem Trade. Europa will erst 2027 nachziehen. Welche Herausforderungen entstehen durch diese unterschiedliche Innovationsgeschwindigkeit?
Das zieht durchaus Probleme nach sich, da die globalen Finanzmärkte sehr stark miteinander vernetzt sind. Dass die Settlement-Zyklen voneinander abweichen, erzeugt Reibungsverluste – die wir ja eigentlich eliminieren wollen. Deshalb wäre ich aktuell auch ungern Vorsitzender einer Wertpapierbörse. Im amerikanischen und europäischen Futures-Trading gibt es hingegen keine Interoperabilität – wer einen Kontrakt bei uns kauft, muss ihn auch bei uns verkaufen. Wir wickeln Transaktionen bereits zweimal pro Tag ab. Am Aktienmarkt sieht die Welt noch anders aus.
Allerdings werden schon Stimmen laut, die Wertpapier-Transaktionen-Settlements in Echtzeit fordern. Laut einigen Analysten könnten digitale Zentralbankwährungen dabei eine wichtige Infrastrukturkomponente bilden. Wie realistisch ist es, dass solche von staatlicher Stelle emittierte Stablecoins tatsächlich an den Markt kommen?
Zentralbanken sollten nicht einfach Stablecoins lancieren und diese sofort für den gesamten Markt öffnen. Nach meiner Ansicht sollten sie mit systemisch wichtigen Finanzmarktorganisationen wie uns und anderen Börsenbetreibern oder Banken zusammenarbeiten, die als „Too Big To Fail“ eingestuft werden. So können wir in einer kontrollierten Umgebung sicherstellen, dass die Bezahl- und Settlement-Prozesse auf Basis digitaler Zentralbankwährungen tatsächlich funktionieren, bevor wir sie für die Öffentlichkeit freigeben.
Die Welt bewegt sich in Richtung Rund-um-die-Uhr-Handel, ob wir das gutheißen oder nicht. Für Futures und Optionen besitzen wir erprobte Prozesse abseits der Kernzeiten. Der Aktienhandel macht mir da mehr Sorge.
Ein weiterer Trend am US-Finanzmarkt ist die Ausweitung der Handelszeiten. An der CME können Investoren Derivate praktisch rund um die Uhr handeln. Nun plant die Nyse, den Aktienhandel an fünf Tagen pro Woche 22 Stunden lang laufen zu lassen, während die SEC einer neuen 24-Stunden-Börse die Freigabe erteilt hat. Wie dürften diese Entwicklungen die Finanzmarktstabilität beeinflussen?
Die Welt bewegt sich in Richtung Rund-um-die-Uhr-Handel, ob wir das gutheißen oder nicht. Für Futures und Optionen besitzen wir erprobte Prozesse abseits der Kernzeiten. Wir können die Regeln für unsere Märkte bestimmen – also bestimmte Preisspannen für Produkte setzen oder Mechanismen zu Volatilitätskontrolle aktivieren. Unsere Velocity-Logic-Anwendung lässt sich so einstellen, dass sie Handelsstopps herbeiführt, wenn es innerhalb kurzer Zeit zu größeren Kursschwankungen kommt. Der Aktienhandel macht mir da mehr Sorge, da die Prozesse dort undurchsichtiger sind. Da setzen ja nicht nur Nyse und Nasdaq die Quotierungen, Geld- und Briefkurse fließen vielmehr aus allen Ecken des Marktes ein und sogar von außerhalb der Börse. An unserer eigenen Aktie zeigt sich mitunter, wie schnell sich falsche Angaben in die konsolidierten Datensätze einschleichen und die weitere Kursentwicklung beeinflussen können. Diese Probleme verschärfen sich im Übernachthandel in der Regel, weil die Liquidität abnimmt. Regulatoren und Börsenbetreiber müssen sehr vorsichtig sein, wie sie damit umgehen. Sie müssen die Handelsspannen abseits der Kernzeiten verknappen und wachsam sein, um Trades schneller stoppen zu können.
Ein anderes Risiko haben Sie bereits angesprochen: Die zunehmende Konzentration in bestimmten Branchen – eine solche besteht allerdings auch im Börsensektor. Müssen Sie sich für einen schärferen Fokus auf die Marktmacht der CME einstellen?
Nein, ich glaube nicht, dass unsere Größe Regulatoren Sorgen bereitet. Ich habe bereits angesprochen, dass die Behörden Kartellgrundsätze gegen die Effizienzgewinne abwiegen müssen, die größere Unternehmen dem Markt bieten. Wir verfügen über Cross-Margining-Vereinbarungen mit der Depositary Trust and Clearing Corporation (DTCC) und ihrer Tochter, der Fixed Income Clearing Corporation (FICC). Darüber können wir die Summe der Sicherheiten, die Broker für ihre Kunden beim Clearinghaus hinterlegen müssen, durch Verrechnung drastisch reduzieren. Unsere Margin-Offsets für Fixed-Income-Futures bringen Investoren jeden Tag zu Kosteneinsparungen von mehr als 1 Mrd. Dollar. Wenn wir die Effekte, die wir durch die Verrechnung von Swaps gegen das Futures-Portfolio erzielen, mit einberechnen, kommen 7 bis 8 Mrd. Dollar hinzu. Und das Cross-Margining über das Zins-Future- und -Options-Portfolio bringt weitere 11 bis 12 Mrd. Dollar an Effizienzgewinnen pro Tag. Insgesamt sind das also 20 Mrd. Dollar an Einsparungen. Ich denke, Regulatoren sehen damit durchaus die Vorteile unserer Größe.
In den vergangenen vier Jahren haben allerdings weniger praktische, sondern vielmehr ideologische Überlegungen die US-Kartellregulierung geprägt...
Ich glaube einfach nicht, dass Unternehmen für ihre Größe bestraft werden sollten. Sie sollten vielmehr dafür belohnt werden, dass sie diesen Status erreicht haben. Wir haben unser Geschäft ja auch gut diversifiziert, zum Beispiel über unsere Beziehungen zu S&P Global. Wir halten einen Anteil von 27% an deren Indexgeschäft und Lizenzen zum Handel aller Aktienprodukte. Auch das bietet hohe Effizienzgewinne für Investoren. Ich bin mit Blick auf unsere Position im Markt daher sehr entspannt.
Wollen Sie die Stärke ihres eigenen Clearing-Hauses denn in weitere Wettbewerbsvorteile umsetzen?
Dass wir von Tag eins an über unser eigenes Clearing-Haus verfügen, ist ja schon ein gewaltiger Vorteil. Wir sind immer daran interessiert, neue Kunden zu gewinnen. Unser Clearing-Angebot jetzt auf neue Assetklassen auszuweiten, wäre aber wohl etwas vorschnell. Ich möchte sicherstellen, dass wir alle Trades genau verstehen, für die wir bei der CME Group als zentraler Kontrahent agieren. Als nach der Finanzkrise 2008 der Dodd-Frank-Act aufgesetzt wurde, habe ich dafür gesorgt, dass er eine bestimmte Passage enthält. Diese sichert uns zu, dass wir jedweden Swap ablehnen können, mit dem wir uns nicht wohlfühlen. Schließlich erhöhen alle Trades, die wir in unser Clearing-Haus holen, das Exposure für andere Marktteilnehmer. Mit mir wird es allerdings ganz sicher keine Verrechnung für esoterische Swaps geben, nur um ein paar Dollar mehr an Umsatz zu erzielen.
Die SEC hat eine großflächige Reform verabschiedet, mit der sie das zentrale Clearing im Treasury-Markt ausweiten will. Die Umsetzung steht ab dem kommenden Jahr an. Wie beeinflusst das Ihren geschäftlichen Ausblick?
Wir haben uns kürzlich darauf beworben, Cash- und Repo-Transaktionen im Treasury-Markt clearen zu dürfen, und hoffen auf eine Freigabe im neuen Jahr. Das ist eine sehr spannende Entwicklung und wir müssen für jede Neuerung im Marktumfeld gerüstet sein. Doch wie ich meinen Freunden bei der DTCC und FICC schon erklärt habe: Dass wir Cash-Treasuries und andere Produkte clearen können, heißt nicht, dass wir das auch tun müssen. Wir verfügen über starke Beziehungen zu diesen Clearing-Institutionen und generieren darüber wie beschrieben hohe Margin-Offsets. Ich denke, dass sich diese Beziehung zur FICC fortsetzen wird.
Unterdessen schlagen Kontroversen um einen neuen Wettbewerber der CME Group hohe Wellen. Die BGC Group des Star-Investors und Trump-Unterstützers Howard Lutnick lancierte im September die neue Börse FMX, die Investoren noch größere Margin-Offsets als die CME ermöglichen und dabei auf ihre Partnerschaft mit dem London Clearing House (LCH) setzt. Fühlen Sie sich von der FMX bedroht?
Nein. Dass ich gegen das Clearing von Treasuries und das Netting von Clearing-Margen über das London Clearing House bin, geht auf eine bestimmte Frage zurück: Welche Behörde hat die Kontrollmacht und Aufsicht über die Abwicklung von Trades in einem Default-Szenario? LCH ist natürlich ein reguliertes Clearing-Haus und ich sage nicht, dass es zusammenbrechen wird. Doch wenn dieser Fall eintreten wird, dann wäre die einzige Behörde, die eine Auflösung der in London geclearten US-Staatsanleihefutures überwachen und sanktionieren würde, die Bank of England. In einem solchen Szenario hätten die US-Regierung, die Treasury und die Fed nichts zu melden. Das könnte massive Schäden im 27 Bill. Dollar schweren Treasury-Markt und im noch größeren Markt für Treasury-Futures nach sich ziehen. Dieser übertrifft den Cash-Markt inzwischen schließlich um 13%.
Was Herr Lutnick vorschlägt, ist definitiv ein beispielloses Vorhaben...
Allerdings. Wir wären die einzige Nation weltweit, die ihre Staatsanleihen in einem Default-Szenario unter ausländischer Aufsicht clearen würde. Nach dem Brexit mussten europäische Marktteilnehmer, die ihre Trades zuvor in London verrechnen ließen, Paris ansteuern. Denn europäische Nationen sehen sich verpflichtet, das Clearing für ihre Staatsanleihen auch nach den Gesetzen der EU ablaufen zu lassen. Man muss sich ja nur anschauen, was bei der Nickel-Krise 2022 los war. Damals stieg der Kurs des Metalls infolge eines Short Squeeze auf über 100.000 Dollar pro Tonne, was zu einem massiven Margin Call führte. Die London Metal Exchange radierte Nickel-Trades im Gegenwert von 12 Mrd. Dollar aus, ohne die üblichen Protokolle für Default-Szenarien zu beachten. Nun will Howard Transaktionen im viel größeren Markt für Treasury-Futures im gleichen Rechtsraum clearen, in dem sich diese Krise abgespielt hat. Dass Investoren das nun einfach so hinnehmen sollen, ist grundfalsch. Deswegen habe ich von Anfang an gegen diese Transaktion argumentiert.
Der Brexit hat auch den Geschäftsausblick für Börsenbetreiber in Europa verändert. Grundsätzlich hält sich viel Pessimismus in Bezug auf die europäische Wirtschaft und die Kapitalmärkte. Wie interessiert sind Sie noch daran, Geschäfte in Deutschland zu machen?
Ich war immer interessiert am europäischen und deutschen Markt. Die Stimmung fällt aktuell sehr negativ aus, und die Rolle des Brexit im ökonomischen Abschwung wird unterschätzt. Wir sind noch mit den Konsequenzen beschäftigt. Doch der wirtschaftliche Abschwung bietet auch Gelegenheiten, unsere Partnerschaften jenseits des Atlantiks zu stärken. Deutschland besitzt mehr innovatives Potenzial als angenommen – und damit auch die Chance, wieder zum dominanten Anführer innerhalb der EU zu werden.
Das Interview führte Alex Wehnert.
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Das Interview führte Alex Wehnert.