Energie fürs Portfolio
Alex Wehnert
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Während weite Teile Europas und der USA im Juni unter Hitzewellen gelitten haben, richten sich die Blicke der Energiemarkt-Teilnehmer bereits auf den Winter. Denn infolge des Ukraine-Kriegs droht dann eine weitere einschneidende Unterversorgung bei Rohstoffen. Am Markt für Schweröl, das als Treibstoff für Schiffe und für den Betrieb von Kraftwerken genutzt wird, zeigen sich Verschiebungen in den internationalen Handelsbeziehungen beispielhaft. Und gerade vor den Erdgaspreisen liegt laut Bloomberg Intelligence ein erneuter volatiler Aufwärtstrend. „Das europäische Ziel, bis Oktober 80 % der Lagerbestände zu füllen, könnte angesichts niedrigerer Pipeline-Lieferungen gefährdet sein“, kommentieren die Analysten des Informationsdienstleisters.
Dass der Energieriese Gazprom seit Mitte Juni deutlich weniger Gas über die Ostseepipeline Nord Stream nach Westen pumpt als zuvor, heizt die Befürchtungen noch an. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rief zuletzt bereits die Gas-Alarmstufe aus. Dabei sind schwelende Bedrohungen für kritische Transport-Infrastruktur in der Ukraine laut Bloomberg Intelligence an den Rohstoffmärkten noch gar nicht eingepreist. Und auch der Import von Flüssigerdgas birgt vorerst wohl nur geringe Aussicht auf eine Linderung der Energiekrise.
Verbraucher müssen sich also darauf gefasst machen, dass die ohnehin hohen Energiepreise mittelfristig weiter anziehen – dagegen birgt die Rohstoffkrise für Anleger durchaus Chancen. So besitzen sie die Möglichkeit, über Anlagevehikel wie Zertifikate, Mini-Futures oder die inzwischen äußerst populären Exchange Traded Commodities an der Rally zu partizipieren. Nach Ansicht des Vermögensverwalters Wisdom Tree stellen aber insbesondere Aktien aus dem Öl- und Gassektor im aktuellen Umfeld eine lukrative Möglichkeit dar, dem Portfolio Energie einzuhauchen. „Die Gelegenheiten bei diesen Titeln werden anhand der Bewertungen und Gewinne ersichtlich“, sagt Aneeka Gupta, Direktorin im Makro-Research des Assetmanagers. Öl- und Energiekonzerne hätten für das erste Quartal starke Ergebnisse vorgelegt, so dass der Sektor während der Berichtssaison die im globalen Vergleich beste Börsenperformance aufgewiesen habe. Dennoch fielen die Bewertungen auf Basis der Gewinnschätzungen für die kommenden zwölf Monate noch sehr niedrig aus. Tatsächlich weist der Ölriese Shell ein vorwärts gerichtetes Kurs-Gewinn-Verhältnis von 5,2 auf, bei BP und Occidental Petroleum sind die Bewertungen ähnlich niedrig. Dagegen liegen die KGVs von Anbietern aus dem Bereich der erneuerbaren Energien auf wesentlich höheren Niveaus oder sind nicht berechenbar, weil sich viele dieser Unternehmen immer noch tief in der Verlustzone befinden.
Breiter Energiemix erforderlich
Dementsprechend rät Christoph Bruns, Vorstand und Portfoliomanager beim Aktienspezialisten Loys, Energiewerte im Portfolio hoch zu gewichten, aber keineswegs nur Erneuerbare zu bevorzugen. „Um Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit von autokratischen Staaten zu gewährleisten, ist ein breit gestreuter Energiemix aus Kohle, Gas, Öl, Atomkraft, Wind und Wasser noch viele Jahre lang erforderlich“, unterstreicht der Marktstratege. Angesichts des stark wachsenden Energiebedarfs infolge von Digitalisierung und Mobilitätswende handle es sich bei den genannten Energiequellen sämtlich um Wachstumsmärkte, sofern Russland als Lieferant ausscheide. Da sich die traditionellen Ölgesellschaften wie Exxon Mobil, Shell oder BP zu breit aufgestellten Energieunternehmen transformierten, bestünden bei diesen große Renditechancen.
Auch Armin Sabeur, Vorstand und Portfoliomanager bei der Investmentgesellschaft Optinova, hält Öl- und Gasaktien für attraktiv, schließlich befänden sich die entsprechenden Unternehmen am Anfang der Wertschöpfungskette und könnten Preisanstiege schnell weitergeben. „Die Politik hat erkannt, dass die Energieversorgung auf mehreren Beinen stehen muss, auch mit Blick auf die Energieträger“, führt Sabeur zudem aus. Die CO2-neutrale Energieversorgung sei das Ziel. „Dies ist jedoch nicht ohne Brückentechnologien zu erreichen“, sagt der Portfoliomanager.
Dennoch dürften auf Nachhaltigkeit bedachte Anleger vor einem Engagement bei Öl- und Gasmultis zurückschrecken. „Die großen Energiekonzerne haben begonnen, ihren negativen Einfluss auf die Umwelt zu reduzieren“, betont Wisdom-Tree-Analystin Gupta allerdings. So habe sich Occidental Petroleum als erster großer US-Ölförderer zum Ziel gesetzt, in der Produktion bis 2040 Netto-null-Emissionen zu erreichen und bis 2050 die durch die eigenen Erzeugnisse entstehenden Treibhausgas-
emissionen zu reduzieren. Bei Shell hätten die Aktionäre im vergangenen Jahr indes sogar mit großer Mehrheit für eine Nachhaltigkeitsstrategie gestimmt, durch die der Konzern seinen Kohlendioxid-Ausstoß bis 2050 um 100% zurückfahren wolle.
Shell als Analysten-Favorit
Der ehemals als Royal Dutch Shell firmierende Öl- und Gasmulti gehört auch aus diesem Grund zu den großen Favoriten der Analysten im Energiesektor. Laut Bloomberg empfehlen derzeit 25 Investmenthäuser den Titel zum Kauf oder zum Übergewichten, lediglich vier votieren auf „Halten“ – Verkaufsempfehlungen finden sich in der Datenbank dagegen überhaupt nicht. Laut der britischen Großbank Barclays, die Shell auf „Overweight“ setzt, dürften Aufwendungen für die Energietransition bis 2025 für die Hälfte der Investitionsausgaben und Betriebskosten des Konzerns verantwortlich sein. Dadurch werde das Unternehmen zu einem Profiteur des steigenden Bedarfs an erneuerbaren Energien, Biotreibstoffen und Wasserstoff. Die Vergütungen von 12500 Beschäftigten seien inzwischen an den Erfolg der Transitionsstrategie gekoppelt, was einen starken Motivationsfaktor darstelle.
Dagegen fällt die Analystenstimmung für die Aktien rein auf erneuerbare Energien fokussierter Unternehmen zwar nicht pessimistisch, aber doch weniger überschwänglich aus als bei den Rohstoffriesen. Bei Siemens Energy kommen auf zehn Kaufempfehlungen sechs „Halten“-Vota, die Analysten von Bernstein setzen den Titel gar auf „Underperform“. An der Börse wurde der Energietechnikproduzent in den vergangenen Monaten vor allem durch die schwache Performance der verlustreichen Windkrafttochter Siemens Gamesa ausgebremst.
Bisher hält Siemens Energy 67,1 % an dem spanischen Unternehmen, Ende Mai legte die Muttergesellschaft aber ein Angebot zur Komplettübernahme vor. Die Münchener wollen damit stärker bei Gamesa durchgreifen und erhoffen sich infolge der Transaktion Synergieeffekte. Die Deutsche Bank beurteilt den Deal zwar grundsätzlich positiv. Allerdings warnen die Analysten auch davor, dass Gamesa zunächst weiter rote Zahlen schreiben und somit auch den Gewinn pro Aktie von Siemens Energy verwässern dürfte.
Die Aktie des Gamesa-Konkurrenten Nordex empfehlen unterdessen sieben Analysten zum Kauf, während sechs Investmenthäuser auf „Halten“ votieren und eines dazu rät, die Aktie aus dem Portfolio zu schmeißen. Zuletzt wurde der Windanlagenbauer Opfer eines Hackerangriffs, infolge dessen er den Ausblick für das Gesamtjahr anpassen musste – nun steht wohl ein Verlust vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen zu erwarten. Zudem kostete die Cyberattacke Nordex den Platz im SDax, weil das Unternehmen in der Folge die Veröffentlichung der Quartalszahlen über die von der Deutschen Börse vorgegebene Frist hinaus verschieben musste. Eine Produktionsumstellung auf andere Blätter lastet ebenfalls auf den Erlösen des Windanlagenbauers, der zusätzlich unter strukturellen Problemen wie Lieferkettenunterbrechungen und steigenden Einkaufskosten leidet.
Abhängigkeit von Subventionen
Loys-Manager Bruns sieht bei rein auf Wind- und Solarkraft fokussierten Anbietern zudem einen entscheidenden Nachteil gegenüber diversifizierten Energiekonzernen: „Die Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen ist völlig abhängig von staatlichen Förderungen“, sagt der Marktstratege. „Gäbe es diese Subventionen nicht, dann gäbe es kaum Investitionen in erneuerbare Energien.“ Damit private Unternehmen in erneuerbare Energien investierten, sei vor allem eine langfristige Planbarkeit vonnöten. Angesichts der schwankenden Unterstützung vonseiten der Politik und der Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre bestünden dabei große Risiken für die Industrie.
„Grundsätzlich verzerren Subventionen die Kapitalallokation“, stimmt Optinova-Manager Sabeur zu. Zwar versuche die Politik, die Kapitalströme durch Bezuschussungen zu lenken, doch in vielen Fällen lösten staatliche Eingriffe Fehlanreize aus. Gerade deshalb seien Wind- und Solarkraft sowie andere nachhaltige Quellen in den vergangenen Jahren abhängig von staatlichen Eingriffen gewesen. „Durch die aktuellen Marktpreise werden die erneuerbaren Energien jedoch zu ernsthaften Konkurrenten fossiler Träger“, gibt Sabeur zu bedenken.
Wasserstoff als Speicherlösung
Herausforderungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien bestehen allerdings durch eine mangelnde Netzstabilität und fehlende Speicherlösungen. „Wasserstoff böte die Chance, den durch Solar und Wind erzeugten Strom zu speichern“, sagt Bruns. Gleichwohl seien die Anwendungen der Wasserstoffwirtschaft sehr teuer, technisch aufwendig und gefährlich. Es werde daher noch viele Jahre dauern, bis eine hinreichende Infrastruktur aufgebaut sei.
„Heute ist Wasserstoff noch keine grüne Lösung, da er zu mehr als 90% mithilfe von Erdgas hergestellt wird“, wendet Benjamin Louvet, Manager des Ofi Financial Investment – Energy Strategic Metals Fund, zudem ein. Durch die Produktion einer Tonne H2 gelangten daher aktuell mehr als 10 Tonnen Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre. Dies wollen einige Energieriesen mit großvolumigen Investitionen ändern. BP kündigte Mitte Juni beispielsweise an, mit 40,5 % in das Projekt Asian Renewable Energy Hub einzusteigen, in dessen Rahmen in Westaustralien künftig 1,6 Mill. Tonnen grüner Wasserstoff beziehungsweise 9 Mill. Tonnen grünes Ammoniak pro Jahr hergestellt werden sollen. Laut den Analysten von Barclays, die BP auf „Übergewichten“ setzen und für den Aktienkurs ein Aufwärtspotenzial von mehr als 60 % sehen, dürfte dies zu einer Reduktion von CO2-Ausstößen im Volumen von 17 Mill. Tonnen jährlich führen.
Der simpelste Weg, um Wasserstoff zu generieren, ist laut Louvet die Elektrolyse von Wasser, also die Zerlegung in die Bestandteile H2 und Sauerstoff. Einige der erforderlichen Elektrolyseure verwendeten Nickel, doch die performancestärksten enthielten Elektroden aus Platin oder Iridium. „Um Wasserstoff nutzbar zu machen, werden dann Brennstoffzellen benötigt, für deren Herstellung es ebenfalls große Mengen Platin braucht“, sagt der Ofi-Fondsmanager. Daher könne bei dem Edelmetall in den kommenden Jahren eine starke Verknappung entstehen. Bei Nickel bestehe ebenfalls die Gefahr deutlicher Preisanstiege, da das Industriemetall zugleich entscheidend für die Produktion von Batterien für Elektroautos sei. Zudem seien Silber, Kupfer & Co. wichtige Bestandteile von Solarpanelen und Windturbinen. „Die Energie-Transition bedeutet also, dass wir unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen in eine Abhängigkeit von Metallen umwandeln“, sagt Louvet.
Risiken durch Umweltskandale
Für Energiekonzerne ist bei ihren Strategien in Richtung eines nachhaltigen Wandels daher eine Vielzahl an Einflussfaktoren in diversen Rohstoffklassen zu beachten. Aus Anlegersicht wird die Auswahl des richtigen Einzeltitels, mit dem sie von steigenden Energie- und Metallpreisen profitieren können, dadurch nicht einfacher. Hinzu kommt, dass Anleger sich durch Engagements bei Öl- und Gasförderern Risiken durch Umweltskandale aussetzen. Wie stark Aktien infolge solcher Verfehlungen unter Druck geraten können, zeigt sich am Beispiel von BP nach der Explosion der Bohrplattform Deepwater Horizon im Jahr 2010. Damals gelangten geschätzte 800 Mill. Liter Öl in den Golf von Mexiko, der Konzern musste in der Folge gewaltige Schadenersatzzahlungen leisten. Am Vorabend der Katastrophe, die sich am 20. April 2010 ereignete, hatte die BP-Aktie in London auf 6,55 Pfund geschlossen – bis Ende Juni rutschte der Kurs auf 3 Pfund ab.
Dass solche Risiken trotz der Transitionsstrategien der Unternehmen nicht hinter der Öl- und Erdgasindustrie liegen, zeigen auch die aktuellen Diskussionen um Flüssigerdgas. Im US-Bundesstaat Louisiana beschweren sich die Anwohner beispielsweise massiv über die Umweltbelastungen, die unter anderem durch die Produktionsstätte von Venture Global LNG in der Gemeinde Cameron entstünden. Die Folge sind Reputationsschäden für den Anbieter.
Wer aufgrund solcher Beispiele vor Investitionen in Einzelwerte zurückschreckt, kann allerdings auf eine der zahlreichen Fondslösungen im Rohstoff- und Energiebereich zurückgreifen. Dabei müssen Anleger zunächst beachten, ob das jeweilige Produkt tatsächlich auf die Aktien von Rohstoffkonzernen setzt oder ob es in Futures und Rohstoffderivate investiert.
Beim World Energy Fund von Blackrock liegen beispielsweise mehr als 99 % des verwalteten Vermögens von insgesamt über 3,6 Mrd. Euro in Dividendentiteln, zu den größten Positionen zählen Shell, ExxonMobil, Chevron und die französische Total Energies. Die Performance des Vehikels nimmt sich mit 55,7% auf Sicht von einem Jahr durchaus überzeugend aus. In der Betrachtung über drei Jahre steht immerhin noch ein solider annualisierter Wertzuwachs von mehr als 13%.
Natürlich sind am Markt auch günstigere Passivprodukte verfügbar. Der Lyxor MSCI World Energy ETF punktet beispielsweise mit niedrigen laufenden Kosten von 0,3% per annum. Unter den schwersten Mitgliedern im zugrundeliegenden Index sind viele Werte, die auch im aktiv verwalteten Blackrock-Energiefonds enthalten sind. Die Performance auf Jahresfrist ist mit mehr als 47 % ansehnlich, auch längerfristig hat sich das Produkt robust entwickelt.
Bei Investitionen in Energieriesen, ob per Fonds oder Einzelaktie, ist natürlich die Politik des erweiterten Ölkartells Opec relevant. Anfang Juni hatte die Allianz entschieden, ihre Förderung im Juli und August um jeweils 648000 Barrel pro Tag (bpd) zu erhöhen. Zuvor war eine Ausweitung um 432000 bpd geplant. Das Team von Bloomberg Intelligence zeigte sich überrascht, dass die Opec plus den Forderungen der USA nach einem höheren Fördervolumen zumindest teilweise nachgegeben hatte. Allerdings dürften die tatsächlichen Auslieferungen laut den Analysten nicht ausreichen, um den Wegfall des russischen Angebots zu kompensieren und Preisanstiege zu dämpfen.
Die Entwicklung der Ölnotierungen wirkt sich häufig auch auf Erdgas aus, weil Terminmarkt-Teilnehmer die Rohstoffe je nach Preisverhältnis durcheinander substituieren. Für beide Energieträger steht nach den Hitzewellen des Sommers also wohl ein noch heißerer Winter bevor.